Mit der so genannten „Entjudung“ der UFA verlor die deutsche Film-und-Schlagerindustrie 1933 fast alle ihre Talente: Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann oder Walter Jurmann, dessen „Veronika, der Lenz ist da“ damals aus allen Koffergrammophonen erklang. Über die Zwischenstation Paris sind alle drei Mitte der dreißiger Jahre in Hollywood gelandet. Ihren rührigen Witwen und Töchtern ist es zu verdanken, dass ihre Namen in Deutschland noch nicht ganz vergessen sind. Ein neues Buch von Eberhard Görner („Walter Jurmann“, Henschel Verlag) erinnert nun an den gebürtigen Walter Jurmann, der 1971 während eines Urlaubs in Europa in Budapest gestorben ist.
Zu den größten Fans des Komponisten Walter Jurmann – und seines wichtigsten Texters Fritz Rotter – gehört der deutsche Crooner Max Raabe. Er war es, der einen Nonsens-Schlager, den Walter Jurmann 1933 für Hans Albers geschrieben hat, wieder zum Hit gemacht hat: „Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo“ aus dem Film „Heut’ kommt’s darauf an“. Inszeniert hat diese Komödie, die leider verschollen ist, Hollaenders einstiges „Nachtgespenst“: Kurt Gerron. Nach einem weiteren Film mit Walter Jurmann und seinem kongenialen Partner Bronislaw Kaper versuchte Kurt Gerron ein paar Jahre lang, in Wien zu überwintern, bevor er Mitte der Dreißiger nach Holland ins Exil ging. Dort haben ihn dann nach der Besetzung die Nazis gefasst und später in Auschwitz ermordet. Am selben Tag wie seinen Kollegen Willy Rosen, wie Eberhard Görner notiert. Die Erinnerung daran klang auch mit in der bis heute innigsten Platte von Max Raabe, „Übers Meer“, auf der er Melodien von Heymann und Jurmann sang.
Das Buch scheint ein Geschenk für Yvonne Jurmann zu sein, die hier ein bisschen zu oft zu Wort kommt. Das kann man als Manko sehen, aber manche ihrer Aussagen sind dann doch sehr aufschlussreich. So antwortet sie auf die Frage, warum Walter Jurmann 1933 nach Paris gegangen ist: „Er hat beizeiten gesehen, was da kommen würde. Aber als fröhlicher, optimistischer Charakter, der er war, hat er gehofft, es würde nicht so arg sein. Walter war ein Mensch, der statt des sprichwörtlich halbleeren Glases Wasser immer ein halbvolles gesehen hat. Obwohl er alles verurteilt hat, was gemein und schlecht in der Welt war, hat er doch immer die sonnige Seite gesucht und gefunden.“ Immer on the sunny side of the street.
Im Sommer 1934 ist der M-G-M-Boss Louis B. Mayer in Paris aufgetaucht und hat das Traumteam Jurmann/Kaper für sich entdeckt. Während Hollaender und Heymann noch für die Fox arbeiteten, war diesen der ganz große Coup gelungen. Innerhalb von drei Jahren lieferten sie für das Studio Hits am laufenden Band, von „You’re All I Need“ über „Cosi Cosa“ bis zu „San Francisco“. Letzterer im Film über das große Erdbeben von 1906 von Jeanette MacDonald geschmettert und 1984 zum offiziellen City-Song von San Francisco ernannt. Und dazwischen war auch noch ein magischer Moment der Popgeschichte gelegen: Judy Garlands legendäres Carnegie-Hall-Konzert von 1961, das in den USA zu den Bestselleralben der Sixties gehört. Rufus Wainwright hat Judys Abschiedskonzert nachinszeniert und dabei auch die „San Francisco“-Hymne gesungen, sicherlich auch als Hommage an die „Stadt der freien Liebe“. Solches Weiterspinnen allerdings vermisst man ein wenig in diesem Buch, das mehr an Raabes verdienstvoller Botschafterrolle hängt.
Bevor Judy Garland 1939 in Dorothys „magic slippers“ in Oz geschlüpft ist, hatte sie schon ein anderes Lied von Kaper/Jurmann auf Platte gesungen: „All God’s Chillun Got Rhythm“. Zum ersten Mal erklungen ist dieser Song 1937 in einem Marx-Brothers-Vehikel: „A Day At The Races“. Ein durch und durch „amerikanischer“ Song, der von Duke Ellington und Ivie Anderson zum Jazzstandard veredelt wurde, wie später Hollaenders „You Leave Me Breathless“ von John Coltrane. Anfang der vierziger Jahre zerbrach das Traumteam, weil sich Jurmann gegen eine Vertragsverlängerung mit M-G-M entschied. Kaper blieb im Dienste des Löwen und entwickelte sich zu einem der wichtigsten Filmkomponisten des Studios. Jurmann versuchte sich 1946 am Broadway. Doch sein Musical „Windy City“ wurde ein Flop. Und damit endet diese fast märchenhafte Erfolgsgeschichte: vom Refrainsänger zum Hollywoodkomponisten. In den Sixties hat er dann als „Privatier“ noch zwei Lieder geschrieben, die ein Nachleben haben sollten: die spätere City-Hymne „San Antonio“ und „A Better World To Live In“, das auf der beigelegten CD natürlich von Max Raabe gesungen wird. Nach Elisabeth Buxbaums etwas kompakterer Abhandlung („Veronika, der Lenz ist da!“) also ein weiteres Buch für Max-Raabe- und Walter-Jurmann-Fans.
Musiktipps
Die beiden historischen Jurmann-Sampler von Jube, das Komponistenportrait von Duophon und Max Raabes „Übers Meer“ (Decca)