Hauptbild
Markus Detterbeck, Gero Schmidt-Oberländer: MusiX . Das Kursbuch Musik, Band 1 und 2
Markus Detterbeck, Gero Schmidt-Oberländer: MusiX . Das Kursbuch Musik, Band 1 und 2
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Methodischer Variantenreichtum mit Fragezeichen

Untertitel
„MusiX“ – die ersten beiden Bände des „Kursbuchs Musik“ sind bei Helbling erschienen
Publikationsdatum
Body

Der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland leidet bekanntermaßen zunehmend unter limitierenden und destruktiven Einflussfaktoren mannigfaltigster Art. An vorwiegend ökonomischen Aspekten orientierte, von bildungsfernen Entscheidungsträgern getroffene, bildungs- und kulturpolitische Windrichtungswechsel und die daraus resultierenden Ausdünnungsprozesse seien hier als exemplarische Symptome des immer weiter erodierenden institutionellen Nährbodens für eine nachhaltige und Kultur erschließende musische Erziehung genannt.

Eines aber darf im Rahmen eines verbalen Lamentos über schlechte Rahmenbedingungen nicht vergessen werden: Der Musikunterricht und sein Exekutivpersonal leiden vor allem auch an ihrer selbst. Immer wieder neu entworfene und überarbeitete Lehrpläne beziehungsweise Bildungsstandards und die jeweils aktualisierten Unterrichtsmaterialien erzeugen unter der ohnehin zu Individualität neigenden Spezies der Musikpädagogen große Uneinigkeit, ja Verunsicherung darüber, welche konkreten pädagogischen Ziele im Fokus allgemeinbildender Schulen stehen sollten. So kreativ der daraus resultierende individuell-anarchistische Umgang mit Lehrplanstrukturen im positiven Sinn wirken mag, er kann in den kleinen Fachschaften auch massive konzeptuelle Verwerfungen hervorrufen, die zu völlig unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen innerhalb der Jahrgangsstufen oder möglicherweise auch über die Jahre zu ausgeprägt redundanten Unterrichtserlebnissen ohne nachhaltige, weiterführende Entwicklung führen.

Unter der Bezeichnung „Aufbauender Musikunterricht“ (AMU) wird von einer Autorengruppe praktizierender Musikpädagogen und Hochschullehrer seit fast anderthalb Jahrzehnten das konzeptionell gefasst und in Fortbildungen multipliziert, was eigentlich die selbstverständliche Essenz des vertieften Umgangs mit Musik in der Lernsituation sein sollte: Die Unterrichtsmethodik versucht, der komplexen Vernetzung von physischer und kognitiver Wirkungsweise musikalischer Betätigung gerecht zu werden, indem sie in verschiedenen Kompetenzbereichen von Ebene zu Ebene fortschreitet und hierin den Anspruch eines nachhaltigen Lernprozesses erfüllt. Dabei soll am Beginn dieses Prozesses immer das Handeln und erst am Ende die Begriffsreflexion stehen. Konsequent und vielleicht auch im Ansatz radikal ist hierbei, dass auch vermeintlich ausschließlich intellektuell zu erfassende Inhalte das Modell der „Lernspirale“ (Handeln – Können – Wissen – Begriff) durchlaufen sollen und folglich in ihrer Komplexität zunächst entsprechend vereinfacht werden müssen. Kann man über den noch zu verantwortenden Grad der Reduktion natürlich unterschiedlicher Meinung sein, so wirken die in ihrem Wesen unter anderem auch bis auf Pestalozzi zurückreichenden Grundüberlegungen des AMU in sich stimmig und überzeugend.

Nachdem Werner Jank und Gero Schmidt-Oberländer mit „music step by step“ (Helbling 2010) ein zunächst eher den individuellen Unterricht ergänzendes beziehungsweise umrahmendes Handbuch herausbrachten, zielen Letztgenannter und Markus Detterbeck mit „MusiX – Das Kursbuch Musik“ (2 Bände, Helbling 2011/2013) auf ein zentral positioniertes Unterrichtswerk ab, in dem Inhalt und Methode enger verknüpft werden. Bis auf die zweijährig angelegte Grundstruktur jedes Bandes – dies wird dem Schüler durch die Comicfigur „MusiX“ mitgeteilt, im Lehrerband findet sich hierzu keinerlei Erläuterung – gibt es keine expliziten Hinweise auf einen spezifisch angepeilten Schultyp oder gar konkrete Jahrgangsstufeneingrenzungen. Aus bayerisch gymnasialer Sicht würden sich die beiden Bände inhaltlich den Jahrgangsstufen 5–6 und 7–8 zuordnen lassen ...

Herrscht einerseits also zunächst eine konzeptuelle Offenheit vor, so wird andererseits auf die an den Leitlinien des AMU orientierte methodische Vorgehensweise im Lehrerband dezidiert Bezug genommen. Konzeption und Zielsetzung des Kursbuches sowie ein mit drei Lernsträngen verknüpftes achtgliedriges Kompetenzmodell finden sich in transparenter Darstellung. Des Weiteren werden den acht Kompetenzbereichen jeweils ganz konkrete Einzelziele zugeordnet, was eine große Hilfestellung für die Schwerpunktsetzung in der individuellen Unterrichtsplanung bedeuten kann. Auch zum Umgang mit den im Kapitelverlauf ritualisiert wiederkehrenden Untergruppierungen, wie beispielsweise Startup oder Sicherungsportfolio, werden nützliche Hinweise und Tipps gegeben.

Beide Kursbücher werden von einem umfangreichen Medienpaket flankiert, dessen Elemente rein organisatorisch auf vielfältige Weise miteinander verzahnt sind und dadurch strukturell über die in derartigen Veröffentlichungen häufig vorkommende, pure inflationäre Anhäufung von Zusatzmaterialien deutlich hinausgehen.

Ein Schülerarbeitsheft soll Vertiefung und Reflexion fördern, gleichzeitig durch seine Möglichkeiten das herkömmliche Notenheft überflüssig machen. Hier lässt sich zumindest hinterfragen, ob der Schritt vom selbstgeschriebenen und individuell gestalteten traditionellen Heft (in Zeiten der „Handschriftdämmerung“)  zum layoutmäßig deutlich vorgeprägten Arbeitsheft tatsächlich einen pädagogischen Fortschritt darzustellen vermag.
Neben den obligatorischen Audio-CDs mit allen Hörbeispielen und Playbacks zu den Kursbüchern, einer Video-DVD (Filmsequenzen und Hilfen für Aufgabenstellungen) und einer Multimedia-CD wird auch ein aus CD-ROM und Audio-CD bestehender Testgenerator angeboten, der eine relativ individuelle Auswahl an Aufgabenstellungen ermöglicht oder zumindest als Ideenkompendium genutzt werden kann. Hier, aber auch grundsätzlich im Umgang mit den Kursbüchern zeigt sich: Differenzierte Auswahl tut auf Grund eines stark wechselnden Anspruchsniveaus durchaus Not, steht dadurch zum eigentlich integrativen Gesamtkonzept in gewissem Widerspruch und erzeugt beim Umgang mit dem Unterrichtswerk sozusagen einen Zustand „chronischer multipler Zwiespältigkeit“: Man ist angetan vom methodischen Variantenreichtum, dem Bemühen um stilistische und ästhetische Offenheit bei der Auswahl der musikalischen Betrachtungs- und Betätigungsgegenstände aus allen Genres und schließlich auch von der immer mit unterschiedlichen Erfahrungsebenen verknüpften Informationsfülle, die jeweils am Kapitelende in das oben schon erwähnte Sicherungsportfolio „eingedampft“ wird.

Man freut sich – zumindest überwiegend – über ein vertretbares Maß an fachwissenschaftlicher Korrektheit im Sinne ausgeprägter, aber vertretbarer Reduktion, wundert sich aber dann eben auch über methodische Entscheidungen, die auf überholten Halbwahrheiten beruhen. So wird beispielsweise „die heilige Kuh der Schulmusik“, die Sonatensatzform der Wiener Klassik immer noch unnötigerweise sehr einseitig mit dem Grundprinzip des motivisch-thematischen Diskurses in Verbindung gebracht, ungeachtet der monothematischen Anlage oder der „themafreien“ Durchführungen zahlloser Sonatensätze. Das tatsächlich aber ausnahmslos herrschende Grundprinzip der unter Spannung gesetzten Tonartenebenen als die Neuerung im 18. Jahrhundert findet unverständlicherweise keine Aufnahme, lassen sich doch hier durchaus auch methodische Ansätze finden, die auf weniger manirierte Weise mit dem musikalischen Geschehen in Verbindung träten.

Man ist aber vor allem irritiert durch das unbekümmert wirkende Nebeneinander von Musik und zahlreichen eigenproduzierten, nur als „musikpädagogische Vehikel“ zu bezeichnenden Miniaturen in Form von Startups und Songs, die in der jeweiligen Situation vielleicht ihre methodische Funktion erfüllen, durch ihre glatte, manchmal bis an den Grad der Substanzlosigkeit heranreichende sprachliche und musikalische Gestaltung aber merkwürdig unscharf wirken. Der verstörende Eindruck verstärkt sich auch dadurch, dass die ästhetische Fallhöhe zwischen „musikalischer und musikpädagogischer Welt“ auf der Kommentarebene im jeweiligen Lehrerband nicht Gegenstand unbedingt notwendiger Reflexion ist, also keine klare Abgrenzung vorgenommen wird. Der so zurückbleibende schale Nachgeschmack einer musikalischen Breitbandästhetik ist zwar leider nur allzu zeitgemäß, passt aber eigentlich zum fundierten methodischen Hintergrund der Kursbücher genauso wenig wie die zahlreichen Anglizismen und flapsigen Formulierungen, die offensichtlich jugendnah wirken sollen, letztlich aber nur den Eindruck gestalterischer Orientierungslosigkeit hinterlassen. Dazu – in gewisser Weise analog – präsentiert sich die graphische Gestaltung extrem unruhig: Strukturelle Ebenen, Aufgabenstellungen, Illustrationen, fachwissenschaftliche Infos und Notenbeispiele werden zwar auf vielfältige Weise voneinander abgrenzt, wirken aber schon durch ihre pure Fülle und räumliche Nähe konkurrierend und erzeugen so den Eindruck eines hoffnungslos überfrachteten Layouts. Trifft diese Charakterisierung vor allem für den ersten Band in extremer Ausprägung zu, so ist in Band 2 ein etwas höheres Maß an gestalterischer Geradlinigkeit und die zarte Bemühung um Reduktion der barocken Opulenz wahrnehmbar.

So bleibt als Fazit das Bild von der (methodischen) Horizontlinie, deren wohltuende Klarheit sich in gut gemeinter Überinszenierung eintrübt. Letztere und die oben schon erwähnte konzeptionelle Offenheit resultieren wohl aus dem Projektziel, eine möglichst große Zielgruppe erreichen zu können. MusiX bietet einiges, scheitert aber letztlich zumindest teilweise daran, zuviel zu wollen.

Markus Detterbeck, Gero Schmidt-Oberländer: MusiX . Das Kursbuch Musik, Band 1 und 2, Helbling Verlag 2013.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!