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Mit Willenskraft gegen alle Widerstände

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Erste Werkbiographie zur irisch-französischen Komponistin Augusta Holmès
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Nicole K. Stohmann: Gattung, Geschlecht und Gesellschaft im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Studien zur Dichterkomponistin Augus­ta Holmès (= Musikwissen­schaftliche Publikationen, Bd. 36), Hildesheim/Zürich/New York, Georg Olms Verlag 2012, 622 S., Abb., € 78,00, ISBN 978-3-487-14701-7

In ihrem Testament bezeichnete sich die Komponistin Augusta Holmès als Christin sowie Katholikin und nannte das patriotische Frankreich und das arme Irland als ihre beiden Mütter. Ganz sicher ist die jetzt erschienene umfangreiche Studie von Nicole K. Strohmann über Holmès eine Pioniertat, die nicht nur musikliebende Menschen auf der Suche nach Musik von Frauen interessiert. Holmès wurde als Kind englisch-irischer Eltern 1847 in Paris geboren und wollte von Anfang an gegen den Willen ihrer Eltern Musik studieren. Als Ausländerin jedoch bekam sie keinen Platz am Pariser Konservatorium. Ab 1870 gehörte sie zum Schülerkreis von César Franck, den sie lebenslang verehrte. Sie unterrichtete zwar zu ihrem Lebensunterhalt, war aber vor allem eine hoch anerkannte Komponistin, ja „Staatskomponistin“, wie die untersuchten Werke des Buches, die Oper „La Montagne noire“ (1895), die 1889 triumphal uraufgeführte „Ode triomphale en l’honneur du centenaire de 1789“ und die symphonische Dichtung „Andromède“ ebenso zeigen wie das Auftragswerk aus Italien, die „Hymne à la paix“, 1890 mit sensationellem Erfolg in Florenz uraufgeführt. Sie dirigierte und spielte herausragend Klavier, insbesondere Werke von Beethoven. 1879 nahm sie die französische Staatsbürgerschaft an.

Strohmanns Blick auf die Biographie der „Dichterkomponistin“ Holmés ist auf den Kontext und die Problematik zugespitzt, auf die der Buchtitel verweist: „Gattung, Geschlecht und Gesellschaft im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts“. Untersuchung und Darstellung führen zur Frage der Identität Holmès’ auf der Basis der Religion – sie konvertierte kurz vor ihrem Tod vom lutherischen Glauben zum Katholizismus –, auf der Basis der patriotischen Entwicklungen in der Troisième République (besonders derjenigen nach dem verlorenen deutsch-französischen Krieg), auf der Basis des Geschlechtes – mit feministischen Komponistinnen wollte sie nicht in Verbindung gebracht werden und veröffentlichte ihre ersten Werke unter dem Pseudonym Hermann Zenta –, auf der Basis des „Wagnérisme“ in Frankreich, dem sie sich als Dichterkomponistin zugehörig fühlte und nicht zuletzt auf der Basis der Tiefenpsychologie. Strohmann hat sich mit ihrem Titel einem interdisziplinären Riesenanspruch unterworfen, dem sie in hohem Maße auch gerecht wird. Allein die Quellen, die sie auf über 200 Seiten angibt, zeugen von jahrelanger Arbeit.

Drei Werke untersucht Strohmann unter den genannten Aspekten. Da ist einmal die Oper „La Montagne Noire“, 1895 mit großem Erfolg an der Pariser Oper uraufgeführt. Dieses „Drame lyrique“ spielt am Ende des 17. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung des osmanischen Reiches mit Montenegro: Es geht um die orthodox-rituelle Schwurbrüderschaft von Aslar und Mirko. Mirko verliebt sich in Yamina, eine „Femme fatale“ der türkischen Gegner, und verrät den Bund mit seinem Alter Ego Aslar. Im Gegensatz etwa zu Carmen, Dalila, und Thaïs überlebt Yamina, womit die Dichterkomponistin ein kritisches Zeichen gegenüber dem Patriarchat setzt. All dies weist Strohmann überzeugend in psychologischen Deutungen und musikalischen Analysen mit vielen Notenbeispielen nach, die zwar nicht ganz einfach, aber gut zu lesen sind.

Die „Ode triomphale en l’honneur du centenaire de 1789“ wurde mit 900 Chorsängern aus dem Volk und 300 Instrumentalisten im 2.000 qm großen Palais d’Industrie vor 25.000 Zuschauern als Kompositionsauftrag zum Zentenarium der französischen Revolution aufgeführt. Allein die akribische Beschreibung der szenischen Anweisungen macht Lust, diese gigantomanische Komposition zu sehen.

Holmès’ symphonische Dichtung „Andromède“ ist undenkbar ohne den Einfluss Franz Liszts auf diese Gattung. Nach dem griechischen Mythos rettet Perseus Andromeda, womit hier eine weitere Befreiungsgeschichte nach der Befreiung Yaminas aus der Gefangenschaft der Montenegriner („La Montagne Noire“) und nach der Befreiung des Volkes durch die Republik als idealisierte Staatsform („Ode triomphale“) vorliegt, wie Strohmann bestens nachweist. Wagner und Berlioz standen Pate bei der autobiographisch zu interpretierenden Befreiung vom irdischen Leben in „Andromède“. Selbstverständlich für Holmès – Mutter von fünf Kindern, die bei den Eltern ihres Lebensgefährten Catulle Mendès aufwuchsen – war das alles nicht: sie habe „als Frau und als Komponist zu kämpfen gehabt“. Camille Saint-Saëns sagte über sie: „Wie Kinder haben Frauen keine Vorstellung von Hindernissen und ihre Willenskraft reißt alle Mauern nieder. Mademoiselle Holmès ist eine Frau, eine Extremistin.“

Es gibt in dieser großen Arbeit nur wenig zu kritisieren: vielleicht der manchmal etwas holprige „wissenschaftliche“ Schreibstil einer Dissertation, mit dem angekündigt wird, was gleich geschrieben wird und warum. Und, auch in wissenschaftlichen Arbeiten üblich, aber nicht unbedingt verkaufsfördernd: Keines der zahlreichen interessanten Zitate – Briefe, Rezensionen, Werkkommentare und anderes – ist übersetzt. Insgesamt aber eine tolle Arbeit, die Dirigenten und Regisseure neugierig machen sollte!

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