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Musik und Gesellschaft unter einem Hut

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Briefe und Notizbücher Paul Dessaus schließen ein Lücke
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Paul Dessau: Let’s Hope for the Best. Briefe und Notizbücher aus den Jahren 1948–1978, hrsg. von Daniela Reinhold, Reihe Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts. Band 5, Stiftung Archive der Akademie der Künste, Wolke Verlag, Hofheim 2000, 230 Seiten

Paul Dessau: Let’s Hope for the Best. Briefe und Notizbücher aus den Jahren 1948–1978, hrsg. von Daniela Reinhold, Reihe Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts. Band 5, Stiftung Archive der Akademie der Künste, Wolke Verlag, Hofheim 2000, 230 SeitenPointiert, mit Humor und Respektosigkeit bringt er, was zu sagen ist, auf den Punkt. Von Pierre Boulez verlangt er, statt Opernhäuser zu sprengen, eine Oper zu schreiben. Bei Schostakowitsch und Henze kritisiert er formale Mängel und politische Feigheit. An seinen Schülern Schenker und Goldmann lobt er Talente und Mut. Als Tagebuchschreiber nimmt Paul Dessau kein Blatt vor den Mund. Eitle Beckmesserei liegt ihm ganz fern. Spröde und harsch wie manch eigenes Werk bezieht er stets Position. Was ihm notierenswert scheint, ist auf Musik und Gesellschaft bezogen, die für ihn zusammengehören. Musik und Theaterpolitik in „seinem“ Land DDR sind ein Hauptärgernis. Wiederholt attestiert der Komponist hier Mittelmaß und Kleinbürgergeist. Konkrete Funktionäre verzögern und behindern hier die ästhetische Bildung, den kompositorischen Nachwuchs, auch die Entstehung und Aufführung manch eigenen Werkes.

Parallel verfolgt Dessau die Entwicklung der internationalen Neuen Musikszene. Nono, Boulez und Stockhausen erscheinen ihm Ende der 50er-Jahre als hoffnungsvoll, der ersehnte Beginn eines „wissenschaftlichen Zeitalters in der Musik“. Kompositionstechnischer Fortschritt allein ist für ihn aber ohne Belang, er fordert für sich und andere auch eine „Haltung“ ein, das politische Verhalten des Künstlers.

Die vier kleinen Notizhefte, die nur sporadisch und ohne selbstdarstellerischen Anspruch geführt worden sind und sich dabei zeitlich zum Teil überlagern, spiegeln auch Dessaus Sicht auf die eigene Entwicklung. Daniela Reinhold, die das Paul-Dessau-Archiv in der Berliner Akademie der Künste betreut, hat mit Herausgabe und Kommentar dieser Texte eine bisher offene biografische Lücke gefüllt. Denn zwischen den widerborstigen Werken, den Anekdoten und den geglätteten Publikationen aus DDR-Zeit fehlte Paul Dessau bislang als konkrete Person. Im Telegrammstil teilt diese hier mit, wie widerspruchsvoll sich das eigene Schaffen vollzieht. Komponieren ist für den 1894 geborenen Hamburger Kantorensohn ein Unterfangen, das verschiedenen Kriterien standhalten muss. Als Maßstab für Modernität fungiert Arnold Schönberg, der Lehrer im Geiste – die Dialektik von Botschaft und Form prägt in erster Instanz Bertold Brecht.

Blättert man im Verzeichnis der Autographe des Dessau-Archivs, so stellt sich heraus, dass der Schöpfer diverser erfolgreicher Opern, Film- und Theatermusik rein quantitativ vor allem ein Lied-Schreiber ist. Die Kleinform ermöglicht ihm den aktuellen Bezug und stellt sich, was die Realisierung betrifft, noch am einfachsten dar. Denn Aufführungsmöglichkeiten sind für Paul Dessau zeitlebens, selbst im hohen Alter, sehr rar. Davon sprechen auch die Briefe an seinen Lehrer und Freund René Leibowitz in Paris, bei dem Dessau in den 30er-Jahren, auf seiner ersten Etappe des Exils, Schönbergs dodekaphonische Technik erlernt. Herausgeberin Daniela Reinhold hat knapp ein Drittel der 157 erhaltenen Schreiben zusammengestellt. Dessaus Briefe nach Paris sind vom eher privaten Gestus geprägt. Politische Ereignisse sparen sie aus.

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