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Musik und Größenwahn

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Richard Wagners Einfluss auf Hitlers Allmachtsphantasien
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Die zahlreichen Gedenkfeiern im vergangenen „Wagnerjahr“ hatten bei aller Beachtung der politischen Folgen Wagner’schen Denkens den Schwerpunkt doch auf dessen Musik und deren Interpretation gelegt. Wie anders vor 100 Jahren, als der 100. Geburtstag des Bayreuther Meisters mit einem heute fast unvorstellbaren nationalen Pathos gefeiert wurde! Alles an Wagner, seine Musik, seine politischen Auslassungen und sein Kraftakt, mit dem Festspielhaus in Bayreuth eine einmalige nationale Weihestätte geschaffen zu haben, wurde beispielhaft für ein endlich zu sich selbst gefundenes Deutschtum genommen.

Wie sehr der 1889 in Braunau am Inn geborene Adolf Hitler in diesem Dunstkreis aufwuchs und von ihm zeitlebens geprägt wurde, ist inzwischen aus vielen Untersuchungen bekannt. So gesehen ist es ein gewisses Wagnis, wenn der Münchner Musikwissenschaftler Sebastian Werr jetzt noch einmal Hitlers Beeinflussung durch Wagners Musik nachzeichnet. Der Autor konzentriert sich zum einen auf die Jugendjahre Hitlers in Linz, Wien und München und analysiert dann, wie stark Hitlers überbordender Größenwahn sein politisches Handeln und besonders die Kulturpolitik des NS-Regimes beeinflusste. Passionierte Briefmarkensammler kennen einen Markenblock aus den ersten Jahren des Regimes mit dem Aufdruck: „Wer ein Volk retten will, kann nur heroisch denken“. In der Tat sah sich Hitler als ein heroisch Handelnder, Heroismus war Programm. Als ein „Heroe“ gedachte Hitler, Deutschland und dann Europa zu führen, und als das Ende überdeutlich nahte, fand er in dem, einem „Heroen“ angemessenen, Untergang eine durchaus entsprechende Vollendung. Schon aus den durch eigenes Verschulden kläglichen Lebensumständen vor 1914 hatte sich Hitler immer wieder in ein Reich der Phantasien geflüchtet – eine Phantasiewelt, die durch die Heroen in Richard Wagners Opern geradezu einer Realität gleichkam. Werr umschreibt es so: „In Wagners Selbstdarstellung, vor allem aber in der völkischen Stilisierung erkannte sich Hitler wieder als das verkannte Genie, für das er sich selbst hielt.“

Schon als Jugendlicher hatte Hitler im nahen Linz fast alle Opern Wagners gesehen; später in Wien und dann in München erlebte er auch für heutige Begriffe vollendete Aufführungen. Aller Musikgenuss korrespondierte bei ihm mit der heftigen völkischen und antisemitischen Strömung im deutschsprachigen Teil der Habsburger Monarchie, deren Agitation er begierig aufsog. Erstaunlicherweise nahm er an jüdischen Dirigenten wie Gustav Mahler (Wien) und Bruno Walter (München) keinen Anstoß, ja, glaubt man dem Autor, hat er vielen jüdischen Sängern am Linzer Theater akklamiert. Sein Antisemitismus resultierte, so der Autor sehr bestimmt, auch nicht aus Wagners antisemitischer Polemik, sondern aus dem Schock der Münchner Räterepublik.

Die Kulturpolitik des Regimes war nach 1933 geprägt von Hitlers Vorstellungen, wobei mit Blick auf Wagner der Autor zu der treffenden Feststellung kommt, dass der Begeisterung vieler Wagnerianer für den Nationalsozialismus das nur geringe Interesse vieler Nationalsozialisten für Wagner gegenüberstand. Es ist fast amüsant zu lesen, wie Hitler hohe Parteigenossen, die in langen Aufführungen einschliefen und laut schnarchten, zur Räson bringen musste. Er selbst hielt seinen Heroen der Jugend unbeirrt die Treue. Sein Entree im Hause Wahnfried und die enge Beziehung zu Cosima Wagner sind bekannt; wohl nur durch Hitlers Förderung konnten sich die Bayreuther Festspiele bis Kriegsende über Wasser halten. Die Städtische Oper in Charlottenburg wurde zum pompösen Deutschen Opernhaus; gewaltige Pläne hatte er für München und Linz; die Inszenierung der Nürnberger Parteitage mit Musik, Lichtdomen und Menschenmassen entsprang ganz seinem bombastischen Empfinden.

Die auf intensiver Quellenauswertung beruhende Arbeit Werrs beschreibt an einem extremen Beispiel, wie politische Allmachtsphantasien durch künstlerische Eindrücke, hier durch Musik, genährt und gesteigert werden können. Was einmal mehr ein Beleg dafür ist, dass Kunst nicht für sich selbst steht, sondern immer auch in Gesellschaft und Politik ausstrahlt. Gerade in diesem Jahr, wo an die vielen Facetten von Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkrieges erinnert wird, behandelt auch dieses Buch mehr als nur ein musik-
historisches Seitenthema.

  • Sebastian Werr: Heroische Weltsicht. Hitler und die Musik, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2014, 300 S., Abb., € 29,90, ISBN 978-3-412-22247-5

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