Musik-Konzepte 111: Hans G Helms: Musik zwischen Geschäft und Unwahrheit. edtion text + kritik, München.
Musik-Konzepte 111: Hans G Helms: Musik zwischen Geschäft und Unwahrheit. edtion text + kritik, München.Es ist heute ganz gewöhnlich, dass man musikalische Phänomene in kleinen Arbeitsproblemfeldern behan-delt: Werke, Dirigenten, musikalische Technik, neue Medien et cetera. Die große Gesellschaftskritik, die man daran anzuschließen hätte, gilt mittlerweile als pubertäres Gelaber von Menschen, die das Scheitern Marxens oder wenigstens der 68er nicht so recht begriffen hätten.Damit hat man es sich sehr bequem gemacht und denkt sozusagen im recht begrenzten Weltbild des Schnurzwurzismus. Allein Bücher, die sich um historische Analysen bemühen, mögen heute noch eine Ausnahme darstellen und werden irgendwie akzeptiert – quasi wie als Märchengeschichten. Denn da geht es um die Vergangenheit und die kann einen in seiner eigenen Beliebigkeit des Tuns nicht so recht berühren. Die Herausforderung ist heute global-industriell und damit steckt man lieber gleich den Kopf in den Sand oder verbrüdert sich mit ihr. Ein neues überdimensionales Gehäuse der Hörigkeit entsteht, einfach aus Faulheit heraus, diese Gehäuse noch begreifen zu wollen.
Als Band 111 bringt die edition text + kritik in den Musik-Konzepten Hans G Helms’ Aufsatzsammlung „Musik zwischen Geschäft und Unwahrheit“ heraus. Darin versammelt sind Aufsätze aus den Jahren 1963 bis 1976, die insbesondere das Musikleben ihrer Zeit kritisch behandeln (Festivals für Neue Musik, Musik nach dem Gesetz der Ware – eine Auseinandersetzung mit der GEMA, inklusive Replik des damaligen GEMA-Generaldirektors Erich Schulze) oder Dimensionen des Zusammenhangs von Ökonomie und Musik zum Gegenstand haben (Die sistierte Zeit, Ökonomische Bedingungen der musikalischen Produktion). Mit einem Wort: Die Aufsätze dokumentieren Fragen, denen sich engagierte Publizisten damals gestellt haben. In diesen Texten gelingt es Helms sehr eindrücklich, die Beziehungen zwischen Ökonomie und musikalischer Produktion im Feld der Marx’schen Analyse zu deuten. Das Spektrum der Untersuchungen reicht von Beethoven über Berlioz und Ives bis zu Stockhausen.
Analysedetails fördern bisweilen hochbrisanten Diskussionsstoff zutage: Wenn es beispielsweise über das Auseinandertreten von bürgerlicher Gesellschaft und Neuer Musik zu Beginn des Jahrhunderts anhand der musikalischen und ökonomischen Entwicklungen der Orchesterkultur geht (S. 58 ff.); oder wenn die beinahe mafiosen Wirkungszusammenhänge bei Gestaltung und Programmierung von Musikfestivals für Neue Musik betrachtet werden.
Gewiss, das meiste ist entlarvend und scharf analysiert: Doch was können Aufsätze aus den 60er- und 70er-Jahren im Jahr 2001 noch bedeuten? Dort, wo sie theoretische Denkweisen praktizieren viel, dort wo sie „bloß“ in der Zeit detailgenau sind, weniger – im Einzelfall hätte man doch noch nachträglich den Text anpassen sollen oder in einer Fußnote korrigieren (etwa wenn auf Seite 18 die Dauer des Urheberrechts auf 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers fixiert wird). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in der Analyse von Ökonomie und musikalischer Produktion weiterhin Arbeit gefordert ist, die kein so zur Mode gewordenes „Anything goes“ oder eilfertiger Handschlag mit der Industrie entschärfen kann (sei es das Damokles-Werte-Schwert der phonographischen Industrie, die plötzlich die Urheber schützen möchte, sei es nach Helms’ Worten die Beeinflussung der Bewertungsmechanismen der GEMA für die Produktion von Musik und damit eine auch ästhetische Zementierung von musikalischen Produktionsweisen seit Jahrzehnten). Ein Buch gegen den Schlaf der Vernunft, aktueller noch als zur Zeit der Abfassung.