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Michael Wackerbauer: Die Donaueschinger Musikfeste 1921 bis 1926. Regesten zu den Briefen und Dokumenten im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv mit einer historischen Einführung ( Regensburger Studien zur Musikgeschichte Bd. 12), ConBrio, Regensburg 2017, 5
Michael Wackerbauer: Die Donaueschinger Musikfeste 1921 bis 1926. Regesten zu den Briefen und Dokumenten im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv mit einer historischen Einführung ( Regensburger Studien zur Musikgeschichte Bd. 12), ConBrio, Regensburg 2017, 5
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Musikleben im Aufbruch

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Ein Regestenband dokumentiert die „Donaueschinger Musikfeste“ in den 20er-Jahren
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Über die grundsätzliche musikgeschichtliche Bedeutung der zwischen 1921 und 1926 veranstalteten „Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“ herrscht kein Zweifel.

Hier, in einer zwar auf klingende Traditionen zurückblickenden, letztlich aber abseits gelegenen badischen Residenzstadt, wurde nach dem zerstörerischen Ersten Weltkrieg über sechs Jahre hinweg gesichtet und experimentiert, um neue Talente zu entdecken und zu fördern, neue Wege und Medien zu erkunden; hier erlebten nach einer Zeit, die von großbesetzten sinfonischen Partituren bestimmt war, nicht nur das Streichquartett, sondern auch andere Formationen der Kammermusik eine Art Renaissance: Nicht länger mehr prägten opulente Farben das Hörbild, sondern der Rekurs auf den Tonsatz und seine harmonische beziehungsweise lineare Organisation – und dies als ästhetische Position wie auch als ökonomische Notwendigkeit, die schon Hugo Holle als aufmerksamer Zeitgenosse in der Neuen Musik-Zeitung von 1922 beschrieb: „[…] die Not zwingt, von den großen, für Druck und Aufführung heute viel zu kostspieligen Formen abzustehen (!) und auf kleinere, einfachere Ausdrucksmittel zurückzugreifen, auf die eben auch die musikalische Entwicklung nach der übersteigerten, überhitzten, allzu pompös und äußerlich aufgemachten Musiziererei der letzten zwei Dezennien notwendig zurückgehen mußte.“

Während die nur ein Jahr später initialisierten Musikfeste der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik nach ihrem Start in Salzburg an jährlich wechselnden Orten abgehalten wurden und bald auch Orchestermusik, mitunter gar auch Opern mit aufnahmen, das Programmkomitee aber von den Vorschlägen der nationalen Sektionen abhängig blieb, wurde in der Schwarzwaldidylle vom zuständigen Arbeitsausschuss viel freier diskutiert und entschieden, wenn auch bei nur äußerst begrenzter Internationalität. Doch ist dies nicht der einzige Glücksfall, der sich mit dem Städtchen nahe der Donauquelle verbindet. War es zunächst Fürst Max, der der Idee von Willy Rehberg (damals Rektor der Hochschule für Musik in Mannheim) und Heinrich Burkhard (Musikdirektor in Donau-eschingen) in erstaunlich moderner Weise aufgeschlossen gegenüberstand, ist es unter historischen Dimensionen betrachtet gerade die dezentrale Lage des Ortes, die sich als vorteilhaft erwies. Er bot nicht nur in einer nach neuen Horizonten und Zielen suchenden Zeit einen offenen Raum für ernste künstlerische Auseinandersetzungen und launige Zusammenkünfte (vom Mini-Max über die Schlapperklange bis zum Baar-Thing), sondern lag schließlich auch so abseits, dass die in den Archiven verwahrte Korrespondenz den vielfachen Feuersturm des Zweiten Weltkriegs überdauerte.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Schatz für Jahrzehnte nahezu unbeachtet blieb und erst zwischen 2007 und 2012 im Rahmen des DFG-Projekts „Bruchlinien und Kontinuitäten. Die Donaueschinger Musikfeste von 1921 bis 1950“ umfänglich gesichtet, dokumentiert und gesichert wurde. Denn wer sich mit dieser Zeit, vor allem aber den entscheidenden Jahren bis 1926 beschäftigte (unter welchen Prämissen auch immer), war auf die maschinenschriftliche Dissertation von Hanspeter Bennwitz angewiesen (Freiburg i. Br. 1961), die ungedruckt blieb und von der man sich über das bibliothekarische oder akademische Netzwerk mit einer Kopie versorgen musste. Inhaltlich wurde diese Pionierarbeit Jahrzehnte später durch eine von Joseph Häusler vorgenommene Werkschau (Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen, Stuttgart 1996) ergänzt, die zwar vieles Einzelne einordnete, aber auch manch Grundsätzliches wie Vertiefendes schuldig blieb.

Bietet nun also der schon seit 2009 in einer offenen Datenbank zugängliche (derzeit wegen Überarbeitung aber nicht erreichbare) und nun in Form eines gedruckten Buches vorliegende (Teil-)Ertrag des DFG-Projekts einen Schlüssel, um den dokumentarischen Schatz endlich zu heben? Es lohnt sich, den Untertitel genau zu lesen, in denen „Regesten zu den Briefen und Dokumenten“ angezeigt werden – also knappe, objektivierte Zusammenfassungen des für den besprochenen Zeitraum relevanten Archivguts. Das ist in dieser Tiefenerschließung für die insgesamt 34 Faszikel mit 4.358 Dokumenten mehr als nur ein grob ordnendes Findbuch, freilich aber auch deutlich weniger als eine zitable Briefausgabe, die (wie es aus gut informierten Kreisen heißt) aus eigentumsrechtlichen Gründen nicht ermöglicht wird. Der Wert des Bandes liegt, abgesehen von der allein 80 Seiten umfassenden, einzelne übergeordnete Aspekte erläuternden Einleitung, also vor allem in der Orientierung, die man sich über den Gesamtbestand erarbeiten kann, und in den Registern (soweit die Fragestellungen auf Personen oder Werke abzielen), zudem in der Möglichkeit, für sich selbst zu glossieren und zu verweisen. So hilfreich also die Regesten sind, um sich durch das Material zu pflügen, so stößt man doch an vielen Orten an die Grenzen eines solchen Verfahrens – nämlich dann, wenn es beispielsweise um detaillierte Informationen geht (etwa Programm-Entwürfe), um den Tonfall einer Nachricht (insbesondere bei Hindemith), um Dokumente, die auf andere Kontexte verweisen und möglicherweise singulär überliefert sind (so ein Programmzettel eines Konzerts mit Uraufführungen des Düsseldorfer Komponisten Hans Ebert, Dok 25-3/210).

Entsprechend der Einschränkungen fehlen auch Transkripte der teilweise erhaltenen sogenannten Eingangsbücher. Wie bei konkreten Briefzitaten ist man auch in diesem Fall weiterhin auf die provisorischen Listen bei Bennwitz angewiesen (S. 202–219). Und dennoch: Eine Hilfe sind die Regesten, und sie sollten dann eines Tages die Grundlage bilden für eine Briefausgabe, die vielleicht nur wenig wirklich Spektakuläres ans Tageslicht befördert, dafür aber die unspektakuläre Wirklichkeit eines Musiklebens im Aufbruch.

  • Michael Wackerbauer: Die Donaueschinger Musikfeste 1921 bis 1926. Regesten zu den Briefen und Dokumenten im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv mit einer historischen Einführung ( Regensburger Studien zur Musikgeschichte Bd. 12), ConBrio, Regensburg 2017, 576 S., Farbtafeln, € 78,00, ISBN 978-3-940768-73-5 ISBN

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