Nicht generell „Oper im Fernsehen zuhause“, sondern genuin für das Fernsehen geschaffene Werke sind das Thema. Der Sammelband einer Tagung der Universität Siegen greift das Phänomen „Fernsehoper“ auf.
Erstaunlicherweise wird diese Möglichkeit schon 1927 im amerikanischen „Popular Science Monthly“ begeistert begrüßt – eben in einem Land mit wenigen Opernhäusern und nur einigen reisenden Opern-Kompanien. Im Opernland Deutschland, bezeichnenderweise als fröhliche Ablenkung im Krieg, gab es 1940 mit „Der Liebling des Kalifen“ eine Fernsehopern-Fassung von Webers „Abu Hassan“, die sogar mehrfach wiederholt wurde.
Dann dauerte es bis nach dem Krieg, dass die Leitlinie der Demokratisierung vermeintlicher Hochkultur auch die neuorganisierten Fernsehanstalten erfasste. Nach Kurt Weills Erfolg mit „Down in the Valley“ 1948 erteilte die NBC 1949 Kompositionsaufträge; Gian Carlo Menottis „Amahl and the Night Visitors“ und Bohuslav Martinus „The Marriage“ folgten 1951. Insbesondere Menottis weihnachtsnaher Einakter wurde zum Riesenerfolg mit über 30 weiteren Fernsehinszenierungen.
Obwohl Ernst Krenek 1950 in der Neuen Zürcher Zeitung einen grundlegenden und alle Kollegen auffordernden Aufsatz zur Fernsehoper veröffentlicht hatte und selbst „Dark Waters“ als Fernsehoper beisteuerte, war es nicht das Opernland Deutschland, sondern der österreichische ORF, der 1956 den „Salzburger Fernsehopernpreis“ schuf. Paul Angerers „Passkontrolle“ (1959) und Kreneks „Ausgerechnet und Verspielt“ (1961) waren Erfolge. Genrespezifisch wurden der Innere Monolog mit dem Gesicht im Bild und dem Ton aus dem Off, überhaupt die Abstimmung von Musik, Text, Kameraführung und Bildschnitt ausdifferenziert, um den großen Vorteil des häuslichen Bildschirms einzusetzen: Intimität – nicht „Star in Großaufnahme“, sondern „Nähe zu Figur und Expression“.
Einzelne Aufsätze blicken auch in die USA, wo etwa 1964 das NBC Opera Theatre aufgelöst wurde, oder nach Japan auf die Rolle des Senders NHK. Der Einfluss der Videoclip-Ästhetik mit dem Auseinandertreten von Bild, Gesang und Musik, das Ansprechen einer „Media space“ im Kopf, speziell auch die „Virtual Reality“ mit der Möglichkeit zu interaktiven Werken wird umrissen – Entwicklungen, bei denen das ZKM Karlsruhe eine wichtige Rolle spielt.
Bei der Einordnung der Bedeutung der Fernsehoper, die ja die Kulturgeschichte der Oper erweitern soll, zeichnet einen Teil der Aufsätze allerdings auch eine gewisse betriebsblinde Themenfixierung aus. Da wird zwar die Veränderung der „sozialen Praxis“ – allein durch den Nicht-Besuch eines Opernhauses oder einer Spielstätte – angesprochen, doch empirisches Zahlenmaterial fehlt und würde belegen: Längst ist die Fernsehoper als mediales Musiktheater eine Spielwiese für wenige, rein experimentell orientierte, allem Erzähltheater ferne und oft daher auch verstiegen publikumsferne Spezialisten geworden. Denn gerade in den letzten Jahren sind die Live-Übertragungen aus Opernhäusern bis hin zu festen Kino-Abonnements und der DVD-Mitschnitt auf dem Siegeszug. Künstlerisch, methodisch und menschlich ist in diesem Gebiet die Beziehung zwischen Bühnen- und Fernsehregisseur viel spannender geworden – eine Tagung und ein analytisches Buch wert.
- Das Wohnzimmer als Loge: Von der Fernsehoper zum medialen Musiktheater, hrsg. v. Matthias Henke (Thurnauer Schriften zum Musiktheater, Bd. 32), Königshausen u. Neumann, Würzburg 2016, 235 S., € 38,00 ISBN 978-3-8260-5942-1