Der Titel des Buches ist der Schluss eines Satzes eines früheren Häftlings in Auschwitz. In voller Länge lautet er: „Das war unser Leben. Man hungert, man hofft, man stirbt. Und das alles mit Musikbegleitung“. Das geht aus unzähligen Quellen hervor, und das macht auch dieses informative und materialreiche Buch, das Musik und Musikausübung in den Konzentrationslagern des NS-Regimes und in sowjetischen Lagern des Gulag vergleichend gegenüberstellt, auf ebenso eindrückliche wie bedrückende Weise deutlich.
Die junge Sowjetunion begann bereits Anfang der 1920er Jahre mit der Einrichtung von Arbeitslagern nahe der finnischen Grenze. Mit der Einrichtung der Hauptverwaltung für die Lager ab 1930, abgekürzt Gulag, weitete sich das System von Europa bis zur pazifischen Küste aus mit unzähligen Lagern, die bis etwa 1953 Millionen Gefangene durchliefen. Auch das NS-Regime gründete wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung in Dachau das erste KZ, das „Vorbild“ für alle folgenden wurde.
Die Verfasserin des Bandes ist Dozentin an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Sie hat bereits eine Arbeit über Musik im Gulag vorgelegt. Für das vorliegende Buch konnte sie viele Quellen in deutschen Archiven auswerten, weshalb hier etwas ausführlicher die Verhältnisse in KZ behandelt sind. Aber auch die Einsicht in russische Archive war möglich. Für einen Vergleich der Lagersysteme sei laut Klause die Quellenlage ausgesprochen gut.
Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt. Zu Beginn geht Klause auf Geschichte und Struktur der Lager ein und zeigt, wie das NS-Regime ohne Skrupel die Lager als Vernichtungslager gesehen hat; die extrem grausame und sadistische Behandlung der Häftlinge hatte System. Die Lager des Gulag galten dagegen offiziell der „Umerziehung“ der Häftlinge; realiter waren sie allerdings auch oft Vernichtungslager, in denen die Häftlinge an Krankheiten und Entbehrungen starben. Ein Häftling nannte die Lager rückblickend „Auschwitz ohne Öfen“, ein anderer, der jahrelang in Kolyma inhaftiert war, das dortige Lager „Auschwitz ohne Gas“.
Fast die Hälfte des Buches nimmt das Kapitel zu „Musizierpraktiken und Musikrepertoire“ ein. Die Erfahrung von Musik ist ambivalent, wofür die Autorin besonders aus dem deutschen Bereich viele Beispiele bringt, die teils für Grausamkeit und Todesangst stehen, teils für Trost und Überlebenswillen. Ihr Resümee: „Musik war Mittel zur Ausbeutung von Häftlingen. Musik konnte retten und vernichten.“
In allen Lagern gab es Lagerkapellen, kleinere Ensembles und Chöre. Die Lagerkapellen spiegelten den „musikalischen Sadismus“ der SS. Sie mussten ständig spielen, wenn die Gefangenen zur Arbeit ausrückten und abends zurückkamen, auch dann, wenn Häftlinge, um deren Schreie zu übertönen, ausgepeitscht, gefoltert, gehängt oder erschossen wurden. Die SS verlangte von den geschwächten Menschen oft stundenlanges Singen bei Wind und Wetter im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Umfallen. Wo sie kleinere Ensembles duldete, konnte es vorkommen, dass das Wachpersonal mit zuhörte, ja gelegentlich sogar applaudierte. Dann, so erinnern sich viele Häftlinge, schien bei ihnen so etwas wie Menschlichkeit durch.
Unter den Erinnerungen der Zeitzeugen berichtet eine polnische Gefangene: Als sie zufällig ein Nocturne von Chopin gehört habe, sei alles über ihr zusammengebrochen. „Diese Musik zu hören, war das Grausamste, das mir passieren konnte. Ohnmächtig stürzte ich zu Boden.“ Dagegen die andere Erfahrung, hier von einem tschechischen Häftling in Sachsenhausen: „In mir festigte sich die Überzeugung, dass das Schöne, das Humane im Menschen stärker, ja unbesiegbar ist“.
In der Sowjetunion war Musik kein Folterinstrument. Per Verordnung galt für alle Lager „Kulturerziehungsarbeit“, was die Bildung von Chören und Kapellen begünstigte. Anders als in Deutschland waren in sowjetischen Lagern fast nur russische Häftlinge, die, soweit es die extremen Bedingungen gestatteten, Musik- und Unterhaltungsensembles bildeten. In Magadan, dem gefürchteten Ort im Pazifik, kam es zu der ungewöhnlichen Situation, dass ein dortiger Theaterdirektor mangels eigenen Personals künstlerisch begabte Häftlinge anforderte. Zivilisten und Häftlinge traten dann gemeinsam auf, ja gingen sogar gemeinsam auf Tournee.
Über das Niveau mancher Veranstaltungen kann man heute nur staunen. Die Verfasserin zitiert ein Programm im KZ Buchenwald vom August 1943 mit Werken von Mozart, Smetana, Chopin und Bellini. Im Theater Magadan erklangen im Juli 1943 Rachmaninov, Bizet und Arien von Leoncavallo, Verdi und russische und amerikanische Unterhaltungsmusik, ein Jahr später Unterhaltungs- und Jazzmusik.
Nur bedingt war die Musik ein Schutz; Musiker mussten in beiden Systemen ebenso hart arbeiten wie andere. Zeugnisse aus den KZ sagen, dass sich die Besetzung der Musikgruppen ständig änderte, weil die entkräfteten Menschen von einem Tag auf den anderen starben oder ermordet wurden. Im Gulag war die Lage nur wenig besser. Wie über allen Häftlingen schwebte auch über „Künstlern“ bei totaler Erschöpfung und nagendem Hunger ständig die Angst, in Isolierhaft zu verhungern, zu Tode geprügelt oder erschossen zu werden. Nur wenige Mitglieder in Orchestern oder Kapellen haben dieses Martyrium überlebt.
Inna Klauses Buch ist eine wertvolle Dokumentation zur Musik und Musikausübung in Straf- und Vernichtungslagern von Diktaturen. Den vielen berührenden Zeugnissen möchte man letztlich abnehmen, dass Musik doch etwas zum Überleben beizutragen vermag. Die Autorin schlussfolgert: „Musiker stehen in besonderer Verantwortung, Musik mit Ethik zu verbinden.“
- Inna Klause: „Und alles mit Musikbegleitung“, Musikausübung im Gulag und in den nationalsozialistischen KZ im Vergleich (Jüdische Musik – Studien und Quellen zur jüdischen Musikkultur, Bd. 19), Harrossowitz Verlag, Wiesbaden 2021, XX, 564 S., Abb., € 78,00, ISBN 978-3-447-11674-9