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Axel Brüggemann: Die Zwei-Klassik-Gesellschaft. Wie wir unsere Musikkultur retten, Frankfurter Allgemeine Buch

Axel Brüggemann: Die Zwei-Klassik-Gesellschaft. Wie wir unsere Musikkultur retten, Frankfurter Allgemeine Buch

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Nur noch kurz die Musikwelt retten

Untertitel
Axel Brüggemann macht sinnvolle Vorschläge
Vorspann / Teaser

Axel Brüggemann: Die Zwei-Klassik-Gesellschaft. Wie wir unsere Musikkultur retten, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2023, 248 S., € 24,00, ISBN 978-3-96251-159-3

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Um vorneweg eines klarzustellen: Kontinuierliche Musikberichterstattung, gar die kompetente Begleitung unseres nahezu gesamten künstlerisch hochwertigen Musiklebens, findet außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland beinahe ausschließlich auf den Seiten dieser Zeitung statt. Das Organ der journalistischen Musikpflege in Deutschland halten Sie gerade in der Hand! Anderswo findet diese beiläufig statt, ist sie eher an Trends orientiert als solche (zer-)setzend. Und wenn beispielsweise in der FAZ, dem einst großmächtigsten Organ der Musikkritik hierzulande, Benjamin Fischer im Ressort D:Economy mittlerweile ebenso breit über den Musikmarkt schreibt, wie Jan Brachmann im Feuilleton über das bloß ästhetisch Hochwertige, dann fürchtet man schon um das landläufige Musikleben, wenn Cash, Clicks und Quote derart Oberhand gewinnen und der Widerstand dagegen sich immer altersschwächer ausnimmt.

Das befürchtet auch Axel Brüggemann, der aus der immer größeren Unbehaustheit des Musikkritikers eines der wenigen erfolgreichen Geschäftsmodelle entwickelt hat. Im Netz, im Funk, bei diversen Zeitschriften und Zeitungen, gern auch Veranstaltungen live moderierend, gelegentlich beherzt die Hand schlagend, die ihn auch füttert (z.B. in der Causa Currentzis den SWR): Er ist fast überall da, wo was los ist im Klassikbetrieb, als eine Art Ich-AG ein Gegenentwurf zu Verlagsunternehmen wie etwa der nmz, die Risiken für viele Beschäftigte schultern. Nun hat Brüggemann seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Bekanntschaften zu einem Buch im FAZ-Verlag verarbeitet, „wie wir unsere Musikkultur retten“ – so der Untertitel. Zum Titel später.

Und tatsächlich gelingt ihm eine Tour d’horizon durch die Zu-, Um- und Missstände des gegenwärtigen Betriebs in neun ebenso erschöpfenden wie schwungvoll geschriebenen Kapiteln: Tradition versus Zukunft, Musikausbildung, Machtstrukturen, Musikkritik, politisches Engagement, Ökologie, Musikförderung, Digitalisierung, Publikumsansprache. Das sind, grob umrissen, die jeweiligen Themenfelder, und zu allen liefert er feine Beobachtungen, klare Analysen, zeichnet auf, was falsch läuft und besser laufen sollte. Und da sammelt sich allerhand an: das dysfunktionale Musikstudium; strukturelle Misogynie und Machtmissbräuche (Gatti, Domingo, Barenboim); der politische Aktionismus der einen (Levit) bei gleichzeitiger Willfährigkeit der anderen (Netrebko, Gergiev); die Prekarisierung und Entprofessionalisierung des Kulturjournalismus; der viel zu große CO2-Abdruck der Institutionen; dass in musischer Bildung nun Kunstinstitutionen nachzuholen gezwungen sind, was Kulturpolitik jahrzehntelang vernachlässigt hat… Da fehlt nichts, was nicht zurzeit angesagt wäre an gesellschaftlichen Problemen, oder sagen wir: „Herausforderungen“. Um diese nicht gleich zu meistern, jedoch offensiv anzugehen, dazu bietet Brüggemann abschließend „45 Denkanstöße für eine weitere Debatte“, je fünf pro Kapitel beziehungsweise Themenfeld. Auch die sind alle richtig und gut, und auch aus den vordergründig schlichtesten Forderungen folgen zuweilen komplexe, nun ja „Herausforderungen“, wenn zum Beispiel aus einer ökologisch sinnvollen Unterlassung großer Tourneen die Notwendigkeit erwächst, vermehrt für Stadt und Region zu spielen.

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Axel Brüggemann: Die Zwei-Klassik-Gesellschaft. Wie wir unsere Musikkultur retten, Frankfurter Allgemeine Buch

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Indessen lässt sich diese Brüggemannsche Ideensammlung inklusive ihrer analytischen Prämissen ohne viel Federlesens auf gar viele Aktionsfelder unseres Gemeinwesens übertragen. Was da alles in der Musikkultur schiefläuft, das läuft auch anderswo genauso schief: an Universitäten, in Schulen, beim Fußball und Film, in Politik und Verwaltung, der Wirtschaft und der Gastronomie – und erbärmlicherweise ist, aber so aktuell hat der Autor nicht sein können, der Antisemitismus gleichermaßen allüberall wieder da. Und so drängt sich die Frage auf, ob wir durch die Lösung aller dieser – vollkommen ironiefrei und ernst – Allerweltsprobleme, selbst wenn es sich um zivilisatorische Standards handelt, tatsächlich unsere Musikkultur zu retten vermögen, oder ob durch die vollständige Beseitigung von Miss- und Verbesserung von Umständen diese uns nicht bloß wieder zu „tönend Erz und klingender Schelle“ gerät, wie es in dem bekannten jahrtausendealten Lied aus dem Nahen Osten heißt. Denn längst ist vor lauter Faktenchecks, cultural studies und Symptombehandlung durchs Kulturmanagement die Kunst schlichtweg verloren gegangen, der Glaube an sie, die Liebe zu ihr oder was auch immer für eine Art von höherwertiger Anteilnahme. Solche aber wird vonnöten sein, um bei zivilisatorischen Standards etwa wieder vorneweg zu sein, und nicht stets hinterher und zu spät. 

Endlich der Titel, „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“, und das ist die einzige Pein des Buches. Klingt reißerisch, und das bei der FAZ, wo man „Zweiklassengesellschaft“ als Wort gewöhnlich meidet und sie ansonsten als „Milieus“ oder gar „Lebensstile“ von oben betrachtet (mit Dietmar Dath als Ausnahme!). Die salonrevolutionäre Eröffnungspose plausibilisiert der Autor etwas verquast durch die Behauptung, dass die Einstellung zur klassischen Kultur grob in zwei gegnerische Lager zerfiele, „die sterbende Generation“ der altersmüden Theater- und Konzertgänger einerseits und „die letzte Generation“ der woken Klimakämpfer und Kunstbeschmierer andererseits. Echt jetzt?... Als ob Klassik, Kunst, Kultur, Klima den allermeisten Gesellschaftsangehörigen nicht mal mehr, mal weniger schnuppe sind. Was, wie gesagt, das tiefere Problem sein dürfte, und nicht nur der Musikwelt. Aber davon hoffentlich demnächst mehr bei Axel Brüggemann… und ganz bestimmt hier.

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