Raphael Weidlich: Die Kunst des Flötenspiels. Der natürliche Weg, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2005, 141 S., CD, € 22,95, ISBN 3-7649-2686-4
Das Streben nach Ganzheitlichkeit hat längst Einzug in das westlich-technisch orientierte Leben gehalten. Auf musikalischem Gebiet sind die Einflüsse der entsprechenden Lehren kaum noch wegzudenken. Auch Raphael Weidlich, stellvertretender Soloflötist im Deutschen Symphonie Orchester Berlin und langjähriger Dozent an den Musikhochschulen in Detmold und Berlin (UdK), bedient sich Techniken dieser Lehren auf seinem Weg zur Ganzheitlichkeit im Flötenspiel. Auf philosophische Gedanken über das Menschsein an sich und die Einordnung des Menschen in das Universum folgt Weidlichs Ana-lyse einer primär technisch ausgerichteten Musikausbildung. Ihr setzt er die Ganzheitlichkeit des musizierenden Menschen entgegen; dem technischen Spiel das ausdrucksstarke, natürliche Spiel. Der Erwerb flötentechnischer Fertigkeiten gilt hier nicht als Ziel, sondern als notwendige Voraussetzung für den „Weg nach innen“, zum eigentlichen Wesen. Dieser Weg bildet die Grundlage zur persönlichen Ausdrucksfähigkeit. Der anschließende „Weg nach außen“ soll die „natürlich künstlerische und menschliche Wesenheit in unserem Kunstschaffen zum Ausdruck bringen“.
So eingeschworen gelangt der Leser zum Hauptteil des Buches. Dieser wird größtenteils von Körper- und Atemschulung bestimmt, wobei der Atmung, dem „alles zusammenfassenden und verbindenden Element“, eine zentrale Bedeutung zukommt. Übungen der Eutonie und Alexanderschule sowie Zen-, Ki- und Atemübungen nach Langenbeck haben hier ihren Platz. Durch Bewusstwerdung und differenzierte Kräftigung soll eine fundierte Basis gelegt werden, auf der sich ein natürlicher Umgang in den Bereichen Haltung, Atem und Ton entwickeln kann. Im flötenspezifischen Teil des „Weges von außen nach innen“ werden konkrete Übungen beschrieben, teilweise mit Querverweisen auf zuvor erfahrene Zusammenhänge. Zunächst steht die Entwicklung eines einzelnen „wahren“, also individuellen Flötentons im Vordergrund, später gehören auch Tonfolgen und Artikulation zu den trainierten Bereichen. Die Übungen sind angelehnt an das Unterrichtswerk Hans-Peter Schmitz’, Weidlichs Lehrer, wobei der beschriebene Weg auch ohne dieses Lehrwerk beschritten werden kann, zumal sich Weidlich mit seinem Buch nicht an diejenigen wendet, für die gemeinhin Flötenschulen konzipiert sind.
Seine detailreiche Beschreibung des differenzierten Umgangs mit dem Ansatzapparat ist von einem flötistischen Anfänger ohne weiteres nicht umsetzbar. Angesprochen wird die fortgeschrittene beziehungsweise professionell flötende, insbesondere auch die lehrende Leserschaft, die sich auf dem Weg „zurück zu den Basics“ Anregungen holen möchte. Nicht der Anfänger, vielmehr der lernwillige „Anfängergeist“ wird hier gefordert.
Während Weidlich dem „Weg von außen nach innen“ fast das komplette Buch widmet, wird der „Weg von innen nach außen“ vergleichsweise kurz angedeutet: Einer Seite allgemein gehaltenen Textes folgen vier Seiten Melodiebeispiele aus der Orchester- und Flötenliteratur. Hier wird deutlich, dass Weidlich eine Basis schaffen will, aus der heraus jeder Flötenspieler seine eigene musikalische Persönlichkeit entwickeln soll.
Auf der beiligenden CD leitet Weidlich Entspannungsübungen an, begleitet von Vogelgezwitscher und Klängen seiner Shakuhachi. Darüber hinaus führt er Tonübungen und Melodien vor und sorgt so für auditive Wahrnehmung des Gelesenen.
Weidlich ist ein enthusiastischer Fürsprecher des ganzheitlichen Lernens und Lehrens. Aus der Vielzahl an Möglichkeiten, Methoden und Wegen hat er eine stimmige Auswahl getroffen, sie vorgestellt und in unterschiedlichem Maße konkret in Beziehung zum Flötenspiel als wesentliche Ausdrucksform gesetzt. Dieser Praxisbezug macht die Veröffentlichung wertvoll. Sie kann als Einstieg dienen und Lust darauf machen, angebotene Wege weiter zu verfolgen, auch wenn die ausschweifenden Formulierungen das ein oder andere Mal die Motivation des Lesers erlahmen lassen, hier den Erfahrungs- und Wissensdurst stillen zu wollen. Leider braucht man seinen geschulten „langen Atem“ auch, um sich durch die vielen Wiederholungen, die mangelnde Struktur und die absatzarme Textlastigkeit dieses Buches zu arbeiten.