Hauptrubrik
Banner Full-Size

Plädoyer für eine organische Syntax

Untertitel
Die Konfessionen des Klanggestalters York Höller
Publikationsdatum
Body

York Höller: Klanggestalt – Zeitgestalt. Texte und Kommentare 1964–2003, hg. von Reinhold Dusella (Musik der Zeit, Dokumentationen und Studien, Bd. 10) Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin 2004, 291 S., € 34,95, ISBN 3-7931-1697-2

Wie Bernd Alois Zimmermann, der um wenige, aber angesichts von Nazi-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg entscheidende Jahre ältere Kollege der Darmstädter Serialisten, ist auch sein 1944 in Leverkusen geborener Schüler York Höller einige Jahre älter als die um 1950 geborenen Vertreter der sogenannten „Neuen Einfachheit“, so dass er seine Kritik am Serialismus entsprechend früher formulierte. Seit seiner Examensarbeit „Fortschritt oder Sackgasse? Kritische Betrachtungen zum frühen Serialismus“ (Pfau 1994), die er 1966 zum Abschluss seines Schulmusikstudiums an der Kölner Musikhochschule schrieb, war er in seinen Kompositionen und theoretisch in einer Reihe von Vorträgen und Essays um einen eigenen musikalischen Weg bemüht in Abgrenzung vom seriellen Konstruktivismus auf der einen Seite sowie von Indetermination, Aleatorik, Auflösen des Werkbegriffs und dezidiert politischem Engagement auf der anderen.

Seine jetzt erschienenen gesammelten Schriften enthalten als Originalbeitrag eine ausführliche autobiografische Skizze mit zahlreichen Fotos sowie seine zentralen Texte über „Gestaltkomposition“ (1981/82) und – was dem Band den Titel gab – „Klanggestalt – Zeitgestalt“ (1998/2003). Anhand konkreter Beispiele dokumentieren sie Höllers Versuch, auf der Grundlage eines an wahrnehmungspsychologischen Kategorien (Gestaltwahrnehmung, dynamisches und zeitliches Unterscheidungsvermögen) ausgerichteten Konstruktivismus zu einer neuen musikalischen Syntax und nachvollziehbaren organischen Entwicklungs- beziehungsweise Durchführungsform zu finden. Hinzu kommen ästhetische Texte, in denen sich Höller zu den Leitvorstellungen des Schönen, zu „Echtheit, Unverwechselbarkeit, Klischeefreiheit, Prägnanz (Klarheit) und Schlüssigkeit“ (S. 135) bekennt, und instruktive Kommentare zu seinen sämtlichen Werken aus vierzig Jahren.

Ergänzt wird der Band durch sechs Sekundärtexte verschiedener Autoren zur Oper „Der Meister und Margarita“ (1984-89), den Klavier-, Orchester- und (live-)elektronischen Werken. Es sind überwiegend ästhetische Betrachtungen, die sich zu eng an die Selbstäußerungen des Komponisten anlehnen und kaum eigenständige Analyseansätze bieten. Eine Ausnahme machen hier – beides Erstveröffentlichungen in deutscher Übersetzung – Marc Battiers und Thierry Lacinos Ausführungen zu den Klangsyntheseverfahren am Pariser IRCAM, dank derer Höller in „Résonance“ (1981) auf der Grundlage digitalisierter Orchesterklänge fließende Klangfarbenwechsel zwischen herkömmlichen Instrumenten komponierte, sowie Stanley Haynes detaillierter Bericht über die Realisierung des 4-Kanal-Tonbandes von „Arcus“ (1978) mit einem zehnseitigen Anhang zu den damals am IRCAM eingesetzten Computerprogrammen.

Höllers Schriften sind allesamt verständlich und klar formuliert, weshalb der Herausgeber auf Anmerkungen komplett verzichtete. Indes wäre die eine oder andere Fußnote doch wünschenswert gewesen. Die Verzeichnisse zu Primär- und Sekundärliteratur im Anhang bieten nur eine Auswahl. Schwerer wiegt das Versäumnis, dass die Hälfte von Höllers Texten ohne Nachweis der Erstveröffentlichung bleibt und dadurch die Umfragen zu Bach, Mozart und „Musik und Mathematik“ ihren ursprünglichen Kontext verlieren. Tabellarischer Lebenslauf, Diskografie, chronologisches und systematisches Werkverzeichnis sowie ein Personenregister beschließen den Band und machen die lesenswerte Einführung in Höllers Denken von und über Musik zu einer wichtigen Grundlage einer jeden weiter führenden Beschäftigung mit dem Werk des Kölner Klanggestalters.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!