York Höller: Klanggestalt – Zeitgestalt. Texte und Kommentare 1964–2003, hg. von Reinhold Dusella (Musik der Zeit, Dokumentationen und Studien, Bd. 10) Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin 2004, 291 S., € 34,95, ISBN 3-7931-1697-2
Seine jetzt erschienenen gesammelten Schriften enthalten als Originalbeitrag eine ausführliche autobiografische Skizze mit zahlreichen Fotos sowie seine zentralen Texte über „Gestaltkomposition“ (1981/82) und – was dem Band den Titel gab – „Klanggestalt – Zeitgestalt“ (1998/2003). Anhand konkreter Beispiele dokumentieren sie Höllers Versuch, auf der Grundlage eines an wahrnehmungspsychologischen Kategorien (Gestaltwahrnehmung, dynamisches und zeitliches Unterscheidungsvermögen) ausgerichteten Konstruktivismus zu einer neuen musikalischen Syntax und nachvollziehbaren organischen Entwicklungs- beziehungsweise Durchführungsform zu finden. Hinzu kommen ästhetische Texte, in denen sich Höller zu den Leitvorstellungen des Schönen, zu „Echtheit, Unverwechselbarkeit, Klischeefreiheit, Prägnanz (Klarheit) und Schlüssigkeit“ (S. 135) bekennt, und instruktive Kommentare zu seinen sämtlichen Werken aus vierzig Jahren.
Ergänzt wird der Band durch sechs Sekundärtexte verschiedener Autoren zur Oper „Der Meister und Margarita“ (1984-89), den Klavier-, Orchester- und (live-)elektronischen Werken. Es sind überwiegend ästhetische Betrachtungen, die sich zu eng an die Selbstäußerungen des Komponisten anlehnen und kaum eigenständige Analyseansätze bieten. Eine Ausnahme machen hier – beides Erstveröffentlichungen in deutscher Übersetzung – Marc Battiers und Thierry Lacinos Ausführungen zu den Klangsyntheseverfahren am Pariser IRCAM, dank derer Höller in „Résonance“ (1981) auf der Grundlage digitalisierter Orchesterklänge fließende Klangfarbenwechsel zwischen herkömmlichen Instrumenten komponierte, sowie Stanley Haynes detaillierter Bericht über die Realisierung des 4-Kanal-Tonbandes von „Arcus“ (1978) mit einem zehnseitigen Anhang zu den damals am IRCAM eingesetzten Computerprogrammen.
Höllers Schriften sind allesamt verständlich und klar formuliert, weshalb der Herausgeber auf Anmerkungen komplett verzichtete. Indes wäre die eine oder andere Fußnote doch wünschenswert gewesen. Die Verzeichnisse zu Primär- und Sekundärliteratur im Anhang bieten nur eine Auswahl. Schwerer wiegt das Versäumnis, dass die Hälfte von Höllers Texten ohne Nachweis der Erstveröffentlichung bleibt und dadurch die Umfragen zu Bach, Mozart und „Musik und Mathematik“ ihren ursprünglichen Kontext verlieren. Tabellarischer Lebenslauf, Diskografie, chronologisches und systematisches Werkverzeichnis sowie ein Personenregister beschließen den Band und machen die lesenswerte Einführung in Höllers Denken von und über Musik zu einer wichtigen Grundlage einer jeden weiter führenden Beschäftigung mit dem Werk des Kölner Klanggestalters.