Was muss der Artist in der Zirkuskuppel tun, bevor er sein Lieblingskunststück vorführt? Dem geneigten Publikum klar machen, dass das, was es gleich zu sehen bekommt, im Grunde menschenunmöglich ist. Jedes Staunen setzt ein Bewusstsein des Schwierigkeitsgrads voraus.
Bentz van den Berg scheint also als Autor das zu sein, was die „Luftgitarristen“, die seinem Buch den Titel gaben, in Konzerten sind: ein Flunkerer; ein Poser, der sehen will, wie weit man kommen kann, wenn man keinen Boden unter den Füßen hat. Bentz van den Berg hat keine Ahnung von dem, worum es den theoretisierenden Protagonisten der „DJ-Culture“ geht: Grooves und Beats sind für ihn, der keinen Takt halten kann, Fremdkörper – und Sounds nähert er sich nur als ein Connaisseur, der sich unter keinen Umständen die Finger schmutzig macht. Worauf die Jüngeren so stolz sind, das will Bentz van den Berg, Jahrgang 1949, auf gar keinen Fall sein – ein Mechaniker der Töne: „Ich habe nie Ambitionen gehabt, Musik zu machen“, erklärt er selbstbewusst. „Was ich wollte: Musik SEIN.“
Greil Marcus, der unbestrittene Pop-Papst der alten Schule, der wie er in Songs und Sounds Schlüssel zur Weltgeschichte und zur Selbstinterpretation sieht (und nicht zum rhythmischen Do-it-yourself), macht Bentz van den Berg geradezu selbstmörderische Komplimente: „Ich würde zehn Jahre meines Lebens geben, um so frei denken zu können ...“
Für Bentz van den Berg sind die großen und raren Pop-Songs, die er nacherzählt und interpretiert, Mythen, Kristallisationen eines gemeinsamen, „ewigen“ Alltags, der unter Umständen weit zurückreicht und immer wiederkehrt. Diese Deutung überrascht nicht. Man kennt sie, „con variazioni“. Was verblüfft und betört ist die Radikalität, mit der Bentz van den Berg die Pop-Songs, die die meisten von uns kennen, so sehr und so lange metaphorisiert, bis alles Faktische verbrannt ist und wir uns im reinen Reich der Zeichen aufhalten; und all der Phantasmagorien, die sie in uns auslösen.
Bentz van den Bergs Pop-History ist die eines durchaus detailverliebten Fans, für den aber die Songs nur deshalb eine so geradezu überirdische Bedeutung gewinnen, weil sie immerzu ins Herz des eigenen Lebens hineindiffundieren; weil sie das aussprechen, was in uns stumm auf einen Weck-Ruf wartet.
Jedes der vielen kleinen Pop-Kapitel, die Facetten der Conditio humana entfalten, ist beides: scheinbar kontingente Anekdote und strenges Programm; keines aber so sehr wie das über Neil Youngs Conquistadoren-Song „Cortez The Killer“. Neil Young versenkt sich in die Ursprungs-Geschichte des amerikanischen Kontinents, aber nur weil und sofern sie Mythologie ist: bleibende Selbstauslegung. In der Art und Weise, wie Neil Young, in Bentz van den Bergs Deutung, die Eroberung des Aztekenreichs beschreibt, erkennen wir Anfang und Ende jeder intensiven Begegnung: „Durch seine Eroberung verändert der Eroberer das, was er erobern wollte. Und je weiter er mit seiner Eroberung fortschreitet, desto mehr geht die Reinheit, die er suchte, verloren, bleibt unerreichbar, irgendwo, ‚there‘.“
Für Bentz van den Berg ist Pop Explikation des Selbst – und des Hier und Jetzt. Pop ist poetisches Projekt und Soziologie der Gegenwart: kein Wunder also, dass sein erstaunliches Buch in der edition suhrkamp erschien.