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Richard Wagner und die Architektur

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Bildtextband zur Geschichte des Bayreuther Festspielhauses
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Markus Kiesel (Hg.): Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth. Mit einem Vorwort von Wolfgang Wagner sowie Beiträgen von Pierre Boulez und Harry Kupfer, nettpress, Düsseldorf 2007, 224 S., über 300 farbige und schwarzweiße Abbildungen, € 68,00, ISBN 978-3-00-020809-6

In der Reihe „100 Jahre Bayreuther Festspiele“ der Fritz Thyssen Stiftung war zuletzt auch ein Band zur Baugeschichte erschienen. Heinrich Habels 685 Seiten umfassende Dokumentation behandelt in Text und Bild die „geplante[n] und ausgeführte[n] Bauten Richard Wagners“ (Prestel, München 1985), die Vorstufen bis zur Realisierung von Festspielhaus und Wahnfried, aber auch deren spätere Um- und Anbauten. So gesehen nicht ganz neu war die Idee eines Bild-/Textbandes, der nunmehr im Verlag nettpress publiziert wurde, „Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth“. Der von Markus Kiesel herausgegebene zweisprachige Bildband geht auch auf die Anfänge des Bauunternehmens Festspielhaus ein, legt aber größeres Gewicht auf die Geschichte der zahlreichen Veränderungen dieses ursprünglich als Provisorium gedachten Bauwerks.

Dass der 1873 errichtete Bau auch ein Bestandteil des Wagnerschen Gesamtkunstwerks ist, hatte auch schon Habel betont. Die überzeitliche Schönheit des oft als „Scheune“ verunglimpften Theaters kommt aber erst in den detailverliebten Fotos von Jens Willebrand zum Tragen. Autor Dietmar Schuth geht der Frage nach, was Richard Wagner schön fand, antikisierende Elemente des Außenbaus und neopompejanischer Stil in den Foyers wurden insbesondere durch Restaurierungen der letzten Jahre erneut sichtbar. Schuth schlägt den Bogen zur Backsteingotik der Marienburg und zu Backsteinbauten Friedrich Schinkels und klassifiziert Wagners Theater als „hellenistische Romantik“. Anhand der Baugeschichte wird deutlich, wie häufig und stark Experiment und Zufall für Richard Wagner eine Rolle spielten. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Otto Brückwald entwickelte er nach griechisch-antikem Vorbild das stark ansteigende Amphitheater. Das ob seiner Akustik gepriesene Theater, das den Dolby-Sorround-Klang des Kinos vorwegnahm, folgte dabei in seinen Prinzipien dem Primat der Optik, mit einer überwältigenden Akustik als Nebenergebnis. So dienen beispielsweise die eigentümlichen Scherwände im Zuschauersaal nicht der Akustik, sondern als achtfaches Proszenium dem optischen Sog zur Bühne. Auch das versenkte, unsichtbare Orchester folgte primär optischen Überlegungen, um die Erzeugung der Musik unsichtbar zu machen und die Konzentration auf die Bühne nicht durch das Orchesterlicht zu stören. Gleichwohl ließ sich aufgrund der Gasbeleuchtung im Eröffnungsjahr 1876 nicht völlige Dunkelheit im Zuschauerraum erreichen, da die Lampen in der Pause und am Ende der Aufführung sonst umständlich und langwierig wieder hätten angezündet werden müssen. Die beeindruckende dreifache Bühnenhöhe des Hauses durch Ober- und Unterbühne diente den Verwandlungen mit Mitteln des Barocktheaters.

Verändert wurde das Festspielhaus zunächst durch das 1882 hinzugefügte Königsportal für Ludwig II., später dann aufgrund bühnentechnischer Notwendigkeiten. Siegfried Wagner, selbst Architekt, baute nicht etwa zu einem Zeitpunkt, als die Familie Wagner noch im Reichtum der Tantiemen schwamm, sondern 1923, als die moderne Ästhetik die Veränderung der Bühnentechnik und eine Vergrößerung des Bühnenausschnitts erforderlich machte, obgleich die Familie nach der Währungsreform in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Im Jahre 1930 kappte Siegfried Wagner die sogenannte Fürstengalerie und baute den heutigen Balkon mit 96 zusätzlichen Plätzen als „Pressegalerie“ ein. Die weitreichendsten Um- und Anbauten fallen jedoch in die Ära des noch amtierenden Festspielleiters. Daher versteht sich Markus Kiesels Buch auch als ein Dokument über das bauliche Lebenswerk des Festspielleiters Wolfgang Wagner. Der hat in eigenen Fotos Umbauten und Rekonstruktionen festgehalten und selbst ein Vorwort beigesteuert. Auch die heutige Beleuchtung und Bühnentechnik ist im Bild festgehalten, und Interviews des Herausgebers mit Harry Kupfer und Pierre Boulez spannen den Bogen zur jüngeren Geschichte der Werkstatt Bayreuth.

Die kurzweilig lesbare, prachtvolle Neuerscheinung zu einem halbwegs erschwinglichen Preis öffnet das Auge des Betrachters für Details, die der Festspielbesucher in der Regel übersieht.

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