Max Gerd Schönfelder: Meine Jahre mit der Semperoper, Taurus Verlag Leipzig 2002, Herausgegeben von Elke Therese Schönfelder und Otto Werner Förster, 126 Seiten.
Max Gerd Schönfelder: Meine Jahre mit der Semperoper, Taurus Verlag Leipzig 2002, Herausgegeben von Elke Therese Schönfelder und Otto Werner Förster, 126 Seiten.Meine Jahre mit der Semperoper“ – schon der Titel wirkt zwiesinnig. Er deutet an, dass es auch die Jahre anderer mit der Semperoper gibt, aber auch, dass es sich um ein Erinnerungsbuch handelt. – Doch erinnert sich der Autor richtig? Und welche Rolle spielt die Zusammenstellung der Texte des an den Folgen eines Verkehrsunfalles im Oktober 2000 verstorbenen Schönfelder durch dessen Witwe und durch den Mitherausgeber, Verlagsinhaber und Schönfelder-Familienfreund Otto Werner Förster?Das Nachwort könnte die Absicht der Herausgeber verdeutlichen, die Geschichtsschreibung in ihrem (und Schönfelders) Sinne zu beeinflussen. Immerhin – der biografische Teil des Nachwortes verschweigt Pikantes! Dass Schönfelder nach der politischen Wende aufgrund der entsprechenden Auskunft der „Gauck-Behörde“ am 13. April 1992 durch die zuständige Personalkommission als Inoffizieller Mitarbeiter (Registriernummer XII 72/83) enttarnt wurde und dass er – auch wegen der Schwere seines Falles – sofort an der Dresdner Musikhochschule Hausverbot erhielt, dass ihm aus demselben Grunde verboten wurde, den Professorentitel weiter zu führen, bleibt unerwähnt. Was aber ist ein Erinnerungsbuch wert, das all die Schönfelder-Spitzeleien, die in den „Gauck“-Akten dokumentiert sind, nicht enthält?
Das Buch hat neun Kapitel, und eitle Histörchen um die Inszenierungen von Rosenkavalier und Tannhäuser, von Otello und Elektra und anderen Opern mehr füllen die Seiten, und alle sind sie anscheinend mit der Grundhaltung geschrieben, dass immer die anderen die Schlechten, die Charakterlosen, die weniger Fähigen, die politisch Subalternen sind. Ein roter Faden der Selbstgefälligkeit zieht sich durch den gesamten Text und als Leser gewinnt man zunehmend den Eindruck, als wären die gesamten Dresdner Opernverhältnisse ohne Schönfelder – den Ritter gegen Dummheit und Dreistigkeit – längst in der Gosse kultureller Niederungen gelandet... Und dort, wo Schönfelder diesem Buch zufolge seine Kämpfe (teilweise) verloren hat, waren es eigentlich gar keine Niederlagen, denn zumindest moralisch fühlte sich der bauernschlau wirkende Marionettenspieler überlegen.
Schönfelder, das scheint ein Resümee des Buches, inszeniert sich als unschuldiges Opfer aller möglichen Leute, die ihm – nach seinen Maßstäben – auf diese oder jene Art eigentlich nicht das Wasser reichen können. Nicht Schönfelder, nein – der gewisse Kapellmeister, der „polnische Wessi oder wessische Pole“ – intrigierte gegen die Staatskapelle und Schönfelder war – natürlich! – das Opfer. Nicht Schönfelder legte es unter raffinierter Ausnutzung der Differenzen zwischen SED-Bezirksleitung, ZK, Kulturministerium und Staatssicherheit darauf an, aussichtsreiche Mitbewerber auszuschalten, um selber Semperoper-Intendant zu werden – nein! Schönfelder erhielt seinem Buch zufolge vom Minister regelrecht die Anweisung, dieses Amt zu übernehmen – Wiederspruch zwecklos! Und wenn Hans Mai – diesen Decknamen hatte Schönfelder mit seiner eigenen Unterschrift unter der Verpflichtungserklärung akzeptiert – sich doch mal als kleiner, gewitzter Gewinner fühlte, dann doch nur, weil die Gegenüber – selbstverständlich! – dümmer waren, als der Zoll erlaubt – die DDR-Zöllner waren ja nicht mal in der Lage, illegalen österreichischen Wein zu beschlagnahmen. Wes Geistes Kind Schönfelder war, verrät dessen kurze Beschreibung einer Rückreise von Wien, wo er fürstlich getafelt hatte, nach Dresden: „Ich jage zurück. Über Preßburg bin ich nicht gefahren. (sic! Schönfelder hätte wohl jedem seiner Studenten eine ideologische Standpauke gehalten, wenn sie „Preßburg“ anstatt „Bratislava“ gesagt hätten – M. B.) Ich glaube, ich fuhr auf elenden Landstraßen über Budweis und Pilsen durch trostlos verelendete Dörfer. Einen Eid möchte ich darauf nicht leisten. Aber doch darauf schon, dass ich hier um alles in der Welt nicht hätte Station machen wollen.“ Klar, auf dieser Strecke winkte weder Kärtnerstraße noch Kranzler-Torte. Beim Blick auf die Landkarte stellt sich dann die Frage: Warum eigentlich ist er nicht über Preßburg und Prag gefahren?
Insgesamt ist das Buch für den Musikfreund völlig entbehrlich. Welchen Nutzen sollte die Veröffentlichung der selbstgefälligen Tiraden eines sich ungerecht behandelt fühlenden Kleinkönigs nach der Entthronung bringen? Eines aber muss dennoch angemerkt werden: Das Verfahren der Herausgeber, viele der betroffenen Personen anonymisiert in den Text aufzunehmen, ist unter ethischem Gesichtspunkt unfair und damit mehr als problematisch. Im Mikroklima auch der heutigen Musik- und Opernszenerie weiß fast jeder, wer mit „Herrn L.“, „eine Sekretärin“, dem „polnischen Wessi oder wessischen Polen“, „Else“ oder dem „tollkühnen Staberlschwinger“ des Wiener Tannhäuser gemeint ist – aber die Betroffenen haben auf diese Weise kaum Chancen, sich juristisch zu wehren.