Volker Bendig: Elementare Gehörbildung. Von den Anfängen bis zur Aufnahmeprüfung an einer Hochschule. 3. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage mit DVD. Die Blaue Eule, Essen 2011, 64 S., DVD, € 98,00, ISBN 978-3-89924-311-6
Der Anspruch der vorliegenden Gehörbildung ist nicht bescheiden: voraussetzungsloses Lernen nimmt den Anfänger an die Hand und führt ihn bis zum Bestehen einer Aufnahmeprüfung an einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Hochschule. Die Einleitung zeugt von tiefgehenden didaktischen Überlegungen: Da ist von Elementarisierung, wellenförmiger Progression, Variation und Antizipation die Rede. Der lesende Hochschullehrer freut sich, denn ein gut durchdachtes und auch transparent dargelegtes didaktisches Konzept fehlt in so vielen Gehörbildungsprogrammen vor allem für den Computer. Einige Benutzungshinweise zur DVD und zu den technischen Voraussetzungen runden das erste Kapitel ab und lassen den Leser hochmotiviert mit Lektion 1 auf DVD beginnen.
Wer ein Lernen mit Lernsoftware direkt am Bildschirm erwartet, braucht einige Zeit, bis er versteht, dass es sich bei der DVD vor allem um eine Zusammenstellung vieler Ton-„Diktate“ handelt, quasi als Ersatz des Lehrervorspiels. Wieder braucht es einige Zeit, bis man herausfindet, dass Aufgabenblätter und Lösungen im Druckbereich ausgedruckt werden können (bzw. müssen) und die Aufgaben mit Stift vor dem Bildschirm bearbeitet und mit der Lösung verglichen werden sollen. Die Systematik in der Bezeichnung der einzelnen Inhaltsbereiche ist ausgiebig zu studieren und nicht leicht nachzuvollziehen. Die gewünschte Antwortform findet man nur auf den ausgedruckten Aufgabenblättern oder erlaubt sich einen heimlichen Blick auf das Lösungsblatt, um herauszufinden, wie die Übung funktioniert und welche Art von Antwort erwartet wird. Mit anderen Worten: Hier steckt der Teufel im System! Intuitives Lernen ist bei den vier gleichzeitig zu überblickenden Medien (Bildschirm, Buch, Aufgabenseite, Lösungsseite) fast nicht möglich, ein langwieriges und mühsames Einarbeiten in Methode und System ist notwendig.
Vor allem für Anfänger, die mit Inhalten, Methoden und Aufgaben der Gehörbildung noch nicht vertraut sind, kann dieser eigenwillige Weg ein Grund für frühzeitiges Aufgeben sein. Wenn man sich davon aber nicht verwirren und verärgern lässt, und mit einiger Einarbeitungszeit die Systematik dieser Gehörbildung versteht und beherrscht, offenbart sich die große Stärke und tatsächlich auch ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Veröffentlichungen: Knapp 11.000 Diktate in guter klanglicher Qualität sind auf der DVD zusammengestellt, vom einfachen Intervall bis zum fünfstimmigen Cluster. Sequentiell hervorragend aufgebaut vom Einfachen zum Komplexen, fast alle Beispiele in drei verschiedenen Schwierigkeitsgraden mit regelmäßigen Wiederholungen aus vorangegangenen Lektionen – ein detailliert ausgedachtes und erprobtes theoretischdidaktisches Konzept liegt also vor. Der Gefahr des parameterisolierten Lernens wird mit vielen Beispielen aus Klassik bis Pop sowie spezieller Aufgabenformen wie Rhythmus- und Melodiesequenzen oder Kadenzformeln begegnet. Die Übungen zum Blattsingen verknüpfen intervallisches und harmonisches Hören auch über längere Zeiträume.
Wer zuerst in den sauren (strukturell-methodischen) Apfel beißt, wird also nach konsequenter und regelmäßiger Übung tatsächlich süße (inhaltlich-didaktische) Früchte ernten. Diese Gehörbildung ist nicht auf schnellen Erfolg in kurzer Zeit angelegt, sondern bietet ein breites Spektrum an Aufgabenformen und Hörbeispielen, das gewissenhaftes und kontinuierliches Arbeiten erfordert. Wenn man sich dieser (auch finanziellen) Herausforderung stellt, steht dem Hochschulstudium mit Haupt- oder Nebenfach Gehörbildung wirklich nichts mehr im Wege.