Die berühmte „Last Night of the Proms“ in London wird zum „ersten Mal von einer Frau geleitet“ (Marin Alsop, 2013). Der deutsche Dirigentenpreis „ging erstmalig an eine Frau“ (Kristiina Poska, 2013). Meldungen wie diese machen deutlich, dass eine Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern noch in weiter Ferne liegt. Denn beides sollte ja heute selbstverständlich sein. Wenn man allerdings die „Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert“ – also zu einer noch nicht lange vergangenen Zeit – liest, wundert man sich über das mediale Staunen nicht.
Im Olms Verlag sind diese Texte nun erschienen. Bei der Lektüre ist man hin- und hergerissen zwischen nacktem Entsetzen und auch belustigtem Nichtglaubenwollen. Nach der französischen Revolution wurden Frauen aus den gerade erstmalig formulierten Menschenrechten heraus definiert und immer neue Begründungen für die „Natur“ der Frau gegenüber der „Vernunft“ der Männer gesucht und gefunden: In diesen Vorgang reihen sich die von Freia Hofmann und Volker Timmermann zusammengestellten 167 Texte ein.
Es ist noch nicht einmal zweihundert Jahre her, dass mehrere Damen „die Augen zu drückten, da sie kein Frauenzimmer mit der Geige am Kinn, und keine weiblichen Finger die Violinsaiten berühren sehen wollten“ (1837 über die Geigerin Nanette Oswald). Für den Kritiker von „La Romance“ ist 1834 die Welt nicht mehr in Ordnung: „Sie präsentiert sich am Pult, eine Brille auf der Nase und ein kleines Satinpolster mit einem Band an der Schulter befestigt, damit die Violine sie nicht wundreiben kann. Dieser bizarre Anblick ist zum Lachen; aber sobald der Bogen loslegt und die Saiten in Bewegung geraten und erzählen, man lacht nicht mehr! Man horcht auf, man ist bewegt, man hat nur noch Beifall für diese Frau, die Klänge zu erzeugen weiß, so rein, so sicher, so harmonisch (...).“ Es fällt auf, dass all die durchaus positiv gesinnten Rezensenten ihr eigenes Staunen zum Gegenstand der Erörterung machen anstatt das Spiel der Künstlerinnen. 1858 ist in der Jagdzeitung Wien zu lesen: „...muss ich gestehen, dass ich nichts Widerwärtigeres in der Kunst kenne, als eine Dame Violine spielen zu sehen. Eine politisierende Dame ist unangenehm, eine rauchende noch unangenehmer, eine Dame jedoch, welche Violine spielt, ist die Widersinnigkeit im Superlativ. Schöne weiße Schultern, ein herrlicher Busen und eine Violine darauf. Welche Karikatur!“
Lisa Cristiani erhitzte als große Cellistin die Geister; 1845 schreibt Franz Brendel über sie: „Diejenigen unserer Leser, welche Fräulein Cristiani noch nicht zu hören Gelegenheit hatten, werden vor allen Dingen fragen, ob die Virtuosin dem Instrument dieselbe Stellung gibt wie die Herren beim Spielen desselben für nötig erachten, von der Ansicht ausgehend, daß das Violoncell in Damenhand nur eine unschöne Erscheinung bieten könne.“ Die Einschätzungen zum Spiel der Blasinstrumente zielen vor allem auf die „Verziehung der Gesichtsmuskeln“ ab (1842). Ein Instrument allerdings macht eine Ausnahme: „Die Harfe ist das schönste Fraueninstrument, und will ein Weib in der ganzen Glorie ihres schönen Geschlechts erscheinen, so nehme sie eine Harfe vor sich und spiele …“, meint Gustav Schilling 1838.
Der größte Kritiker am Ende des Jahrhunderts, Eduard Hanslick, bedauert die Komponisten um ihre Klavier spielenden „Mörderinnen“, die alle „Größe und Leidenschaft ins Niedliche kräuseln“. „Der massenhafte Andrang des weiblichen Geschlechts zum Virthuosentum ist eine böse Krankheitserscheinung der Zeit“ (1882). Heinrich Ehrlich allerdings bescheinigt 1895 Clara Schumann dieselbe Größe wie Franz Liszt und Sigismund Thalberg.
Außerdem ist in dem Buch eine Dokumentation über die Ausbildung, über das erste Wiener Frauenorchester und über Alphonse Sax’ legendäres Frauenblasorchester enthalten: „Die neue Ini-tiative beweist, (…) die Eignung von Frauen selbst für Tätigkeiten, von denen man bisher annahm, sie überstiegen ihre Mittel (…).“ Die Problematik, dass wir in unserem privaten und beruflichen Leben noch immer Reste dieses Denkens finden können, macht die Publikation so aktuell. Allerdings gab es auch damals schon einige, die mit Vehemenz dagegen anschrieben:
„… dann dürfte die Zeit kommen, wie wieder allgemein werden wird, was jetzt so sehr selten zu finden ist: weibliche Auffassung und Empfindung in der Musik“ (Heinrich Ehrlich 1893).
Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Freia Hoffmann u. Volker Timmermann. Georg Olms Verlag, Hildesheim u.a. 2013, 326 S., Abb., € 19,80, ISBN 978-3-487-15020-8