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Eckhard Gropps posthum veröffentlichte Arbeit untersucht die Funktionalisierung von Musik
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Eckhard Gropp: Neue musikalische Wirklichkeiten. Funktionalisierungen von Musik in der Erlebnisgesellschaft (Monolithographien, Bd. 3), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, 240 S., € 48,00, ISBN 978-3-515-07781-1

„La Traviata“ im Zürcher Bahnhof, Mozarts „Zauberflöte“ als Oper auf dem Eis, Luciano Pavarotti eröffnet mit einer Arie aus „Turandot“ die Olympischen Winterspiele 2006 – solche Beispiele, bei denen Musik aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und zum Erlebnis stilisiert wird, gibt es immer mehr. Dies sei Ausdruck des Wandels hin zur postmodernen Erlebnisgesellschaft, so Eckhard Gropp in seiner Dissertation, die Grundlage für diese Publikation ist. Genau genommen stellt Gropp sich die Frage, welche Funktionen Musik in der postmodernen Erlebnisgesellschaft, wie sie vom Soziologen Gerhard Schulze beschrieben wurde, hat und beantwortet sie schlüssig. Gropps Annahme in diesem Zusammenhang ist, dass das Verständnis von Musik in der Erlebnisgesellschaft einem Wandel unterliegt. Musik ist nicht mehr allein ästhetisch verstehbar, sondern erhält zahlreiche Funktionen. Jede beliebige Musik kann in jedes beliebige Umfeld und beinahe in jeden beliebigen Sinnzusammenhang integriert werden und so neue musikalische Wirklichkeiten hervorrufen.

Gropp studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie, war Konzertpianist, Autor und Moderator beim WDR in Köln und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Programmtexte als Journalist. Die Ergebnisse seiner Dissertation beruhen auf empirischen Studien zur Musik-Präsentation in Hörfunk und Fernsehen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren untersuchte er zahlreiche Hörfunk- und Fernsehsendungen. Für die Analyse innerhalb seiner Dissertation wählte er daraus elf Hörfunksendungen (darunter Klassik Forum auf WDR 3 und Heimatklänge bei WDR 4) sowie 15 Fernsehsendungen (beispielsweise Willemsens Musikwoche, ein Konzert der drei Tenöre, die Übertragung eines Konzertes der Kelly Family, Musikantenstadl, Wetten dass?, Wer wird Millionär?) aus. Diese analysierte er detailliert im Hinblick auf den Anteil der Musik, die verwendeten Musikgenres, Art, Umfang und Inhalt der Moderationen, verwendete Trailer oder Jingles des jeweiligen Senders, Intention des Senders in Bezug auf die gewünschte Zielgruppe, Mechanismen der einheitlichen Sendergestaltung durch musikalisches Corporate Design und so weiter.

Daraus leitet Gropp zehn Zentralfunktionen der Musik ab: Musik bestätigt beispielsweise Menschen in ihrem Lebensstil, hebt Situationen und Verhaltensweisen aus ihrer Gewöhnlichkeit heraus (Ästhetisierung), erzeugt Stimmungen und Emotionen, ruft Assoziationen hervor und authentifiziert eine bestimmte Situation, wenn zum Beispiel in einem Beitrag über Schottland ein Dudelsack erklingt. Auch können verschiedene musikalische Genres und Stile in der Erlebnisgesellschaft nahezu unbegrenzt gemischt werden (Cross Over). Zudem ist Musik in der Erlebnisgesellschaft nicht mehr an ein bestimmtes Präsentationsforum gebunden, sondern kann in jedem Kontext stattfinden – siehe „La Traviata“ auf dem Bahnhof. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Untersuchung einseitig auf Hörfunk und Fernsehen beschränkt bleibt und die Ebene der Rezipienten aus Zeitgründen nicht berücksichtigt werden konnte. Gropps Untersuchung der Hörfunk- und Fernsehsendungen wird ergänzt durch Experteninterviews mit Verantwortlichen aus den Bereichen Medien, Marktforschung und Musikmarkt.

Hier steht vor allem die Frage nach der Anpassung von Hörfunk und Fernsehen an die veränderten Rezeptionsgewohnheiten im Vordergrund. Wichtiges Thema ist hier unter anderem die besonders bei den Kulturwellen Anfang dieses Jahrzehnts geführte Diskussion, wie zufriedenes Stammpublikum gehalten und trotzdem neue Hörerschichten erschlossen werden könnten, ohne dass das Kulturradio den gesellschaftlichen Trends zu sehr hinterher läuft.

Auch das Gespräch mit Verantwortlichen des Spartenkanals Onyx.tv, der sich vor allem an junge Menschen richtet und inzwischen aus finanziellen Gründen eingestellt wurde, bietet interessante Einblicke in die Ansichten der Macher und in die Problematik, wie die ursprünglichen Absichten von der Realität abweichen.
Ergänzt wird die Publikation durch reichhaltiges Quellenmaterial unter www.quake-edition.uni-bonn.de/crossmedia.html. Dort finden sich zahlreiche Video- und Audiobeispiele aus den analysierten Hörfunk- und Fernsehsendungen, die Transkription der Interviews mit den Verantwortlichen sowie ein zusätzliches Kapitel über „Musik im Konsumentenalltag“, das sich vor allem mit ästhetischen Strategien in der Fernsehwerbung auseinandersetzt. Insgesamt ist diese Publikation für alle, die in Hörfunk und Fernsehen mit Musik zu tun haben, eine wertvolle Zusammenstellung zum Umgang mit Musik.

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