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Steine fügen sich zum Mosaik

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Das Schubert Liedlexikon schließt vom Detail aufs Ganze
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Dietrich Fischer-Dieskau: Das deutsche Klavierlied. Berlin University Press, Berlin 2012, 95 S., € 19,90, ISBN 978-3-86280-021-6
Walther Dürr u.a. (Hrsg.): Schubert Liedlexikon. Bärenreiter, Kassel 2012, 887 S., € 89,00, ISBN 978-3-761815-06-9

Als Dietrich Fischer-Dieskau im Mai starb, verlor die Musikwelt nicht nur den bedeutendsten Vertreter des Liedgesangs im 20. Jahrhundert, sondern auch einen profilierten Autor. Neben nahe liegenden Büchern über die Liedkosmen Schubert und Schumann, wusste er auch mit seiner Studie zu Nietzsche und Wagner oder mit seiner Zelter-Biografie zu überzeugen. Um so bedauerlicher, dass sein schriftstellerisches Vermächtnis, das posthum erschienene Büchlein „Das deutsche Klavierlied“ so dürftig ausgefallen ist. Wer eine souveräne Zusammenfassung von Fischer-Dieskaus enzyklopädischem und durch die interpretatorische Praxis geerdetem Wissen über das Genre von Reichardt bis Reimann erwartet hatte, wird enttäuscht. Es herrscht ein leicht resignativer, popkulturpessimistischer Tonfall vor, der in seiner Ich-Bezogenheit unangenehm aufstößt.

Die Balance zwischen allgemeinen Charakterisierungen und immer wieder treffenden Einzelbeobachtungen ist nicht durchweg gelungen, liebenswürdig altmodischen Formulierungstreffern stehen mitunter fragwürdige Einschätzungen gegenüber. Die vom Verlag vorab verschickte Druckfahne enthielt noch zahlreiche Fehler, die mittlerweile hoffentlich bereinigt wurden.

Trost kommt vom Bärenreiter-Verlag, dem mit dem Schubert Liedlexikon ein großer Wurf gelungen ist. Diesem liegt die ebenso schlichte wie hellsichtige Erkenntnis zugrunde, dass der Blick aufs Ganze, eine gültige Zusammenschau also von Schuberts Liedschaffen nur über das jeweils einzelne Werk zu haben ist. So ist jedem der 634 Sololieder ein einleuchtend und übersichtlich gegliederter Eintrag gewidmet: Neben den wichtigsten bibliografischen Angaben, einem Notenincipit, dem meist vollständig abgedruckten Text und weiterführenden Literaturhinweisen wird zum einen die zugrunde liegende Dichtung kommentiert, zum anderen auf die Vertonung eingegangen.

Diese scheinbare Atomisierung des Gegenstandes evoziert bei der Lektüre, die durch das Register  und zahlreiche Verweise fast zwangsläufig zum Querlesen tendiert, ein faszinierendes inneres Bild: Das einzelne Lied scheint einem Stein zu gleichen, der seine Wirkung ganz allein entfalten kann, der sich aber gleichzeitig mit immer wieder anderen Liedern zusammen zu verschiedensten Mosaiken fügen kann. 

Dabei fallen die bei einer solchen Unternehmung kaum auszuschließenden Schwankungen in der Textqualität kaum ins Gewicht, viel schwerer wiegt der Mehrwert, der sich durch den interdisziplinären literatur- und musikwissenschaftlichen Ansatz ergibt. Das Zusammenfügen der Mosaike überlassen wir dann gerne wieder den großen Liedsängern.

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