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Techniken des Suchens

Untertitel
Dem Komponisten Norbert von Hannenheim auf der Spur
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Herbert Henck: Norbert von Hannenheim. Die Suche nach dem siebenbürgischen Komponisten und seinem Werk. Kompost Verlag 2007, Paperback, 280 S., € 22,00, ISBN 978-3-9802341-5-3

Verarmt, also ausweglos ... Die Fakten sind karg: Norbert Wolfgang Stephan Hann von Hannenheim, geboren am 15. Mai 1898 in Hermannstadt (Siebenbürgen) überlebte – wenn auch knapp – NS-Zeit und Krieg. Er war Komponist und als solcher sehr produktiv. Bei der GEMA-Vorläuferin STAGMA waren 189 Werke gemeldet. Darunter dodekaphone Klaviermusik, Sinfonik, Konzerte, Klavierlieder sowie – ganz zuletzt – Volksmusiksuiten und Divertimenti in erstaunlicher Zahl. Seit dem Sommer 1929 lebte von Hannenheim in Berlin, wo er drei Jahre zur Meisterklasse von Arnold Schönberg gehörte. 1932 erhielt er das Staatsstipendium der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung. Beim 10. IGNM-Musikfest in Wien wurde sein 2. Klavierkonzert von Else C. Kraus uraufgeführt, im Folgejahr bekam er den Preis der Emil-Hertzka-Stiftung verliehen. Im Normalfall wären dies beste Voraussetzungen für eine Karriere gewesen. Korrespondenzen belegen indes, dass die Inverlagnahme bei der Wiener Universal Edition ausblieb, dass in der Folge weder Paul Sacher noch Hermann Scherchen viel für Person und Werk unternahmen und dass die IGNM den „Auslandsdeutschen“ schnell ignorierte und selbst BBC oder Radio Prag es bei Einzelausstrahlungen beließen.

Der nationalsozialistische Umbruch in Deutschland und der Umstand, dass er – anders als Schönberg – nicht emigrierte, verengten von Hannenheims Wirkungsspielraum schnell und immens. Von Paris und Wien aus betrachtet schien er sich arrangiert zu haben – im Rahmen der NS-Kulturpolitik allerdings fiel von Hannenheims bisheriges Werk unter die Rubrik „Entartete Kunst“. Zur Spezifik des Falles – und dem verdankt sich vorliegende Publikation – gehört, dass der Hochbegabte materiell extrem stark bedürftig und psychisch instabil war und dass sich sein weiterer, bis dato nur vermuteter Lebensfortgang aus der Summe all dieser Konditionen ergab.

Auf der Suche nach sachlicher Wahrheit publiziert Buchautor Herbert Henck in erster Instanz Dokumente: Karteien, Korrespondenzen, Gutachten, Einträge bei Ämtern. Die geringe Zahl der Zeugnisse, die überhaupt existieren, löst Betroffenheit aus. Der Abgleich mit Privatpost und Zeitzeugenberichten deckt manchen Widerspruch auf, Ergebnisse bisheriger Forschung (Dieter Acker, Peter Gradenwitz) werden deshalb neu diskutiert. Die behauptete Geistesverwirrung des Künstlers beweist keine der Quellen schlussendlich. Auch nicht, dass von Hannenheim seine Partituren verbrannte und Else C. Kraus die Sinfonie Nr. 6 persönlich den Flammen entriss. Henck will Erinnerungen dieser Art nicht bezweifeln, er verweist nur auf das Subjektive daran. Unstrittig hingegen, dass vom immensen Œuvre von Hannenheims selbst in Privatbesitz heute nicht sehr viel auffindbar ist.

Zum Besonderen der Publikation gehört, dass sie auch die Techniken und Wege des Suchens ausführlich beschreibt. Das macht sie durchaus zu einem Modell, Dokumente aus Diktaturen relativierend zu lesen. Bedeutsam ist hier der Nachweis, dass der Komponist kein NS-Parteigänger wurde. Henck als Fürsprecher vieler Vergessener der Moderne hätte sich anderen Falles geweigert, von Hannenheims erhaltene, aufregende frühe Sonaten (vgl. ECM New Series 1937) heute selber zu spielen. Zwar steht ein kompositorischer Wechsel um die Mitte der 30er-Jahre ganz außer Zweifel – die Herstellung leichter Klassik und zeitgemäßer Volksliedadaptionen diente, wenn überhaupt, nacktem Broterwerb. Wachsende Zwänge im Verlaufe des Kriegs haben von Hannenheims Lage schließlich unhaltbar gemacht. Henck legt die Möglichkeit dar, dass er zuletzt gar den Verlust seiner Werke erlebte. Ob die Einweisung in die Wittenauer Heilstätten im Juli 1944 damit im Zusammenhang stand, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Definitiv wurde der Komponist nicht in einem Lager ermordet. Das Sterbebuch im Standesamt Meseritz und heute im Polnischen Staatsarchiv befindliche Akten der einstigen psychatrischen Anstalt von Obrawalde – von Zeitzeugen „Mordhaus“ genannt – belegen indes, dass ein Insasse mit Namen Hanchheim, Hammerkein oder Hennenheim dort am 29. September 1945 unter inzwischen polnischer Hoheit an schwachem Herzen verstarb.

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