Christian Broecking: Black Codes,
Verbrecher-Verlag, Berlin 2005, 140 S., € 13,00, ISBN 3-935843-60-7
Jung, männlich, Migrationshintergrund, in Deutschland geboren. Zusammen genommen die besten Voraussetzungen, um im Abseits zu landen. Gesellschaftlicher Aufstieg? Schwierig bis nahezu unmöglich. Pisa und diverse soziologische Studien bringen es seit einigen Jahren regelmäßig an den Tag: Menschen mit den genannten Kriterien haben es in unserer Gesellschaft enorm schwer, einen sicheren Job/Beruf, geschweige denn eine gesellschaftliche Stellung zu erlangen. Sie gehören oft einfach zu den Verlierern. Schule(n) und pädagogische Infrastruktur sind also – auch das eine wiederkehrende Erkenntnis der Forschungen – darauf ausgerichtet, Teile unserer Gesellschaft aufgrund ihrer sozialen, kulturellen, mittelbar ihrer ethnischen Herkunft wegen zu benachteiligen, sie auszusondern. Ist das bereits eine subtile Form des Rassismus? Wohl eher nicht. Hautfarbe und Herkunft stehen nicht im Vordergrund der negativen Auslese und es trifft auch Nachwuchs, der mit anderen Merkmalen zur Welt gekommen ist.
Was das mit Christian Broeckings Interviewband „Black Codes“ zu tun hat? Auf den ersten Blick nichts, geht der Berliner Journalist doch den tiefwurzelnden Spuren nach, die Sklavenhandel und amerikanischer (Südstaaten-)Rassismus in der afroamerikanischen Kultur hinterlassen haben. Auf den zweiten und dritten Blick zeigen sich Ähnlichkeiten in den strukturellen Bedingungen der Diskriminierung und vor allem in den Auswirkungen und Folgen. Aber, höre ich schon Proteste von allen Seiten, hier geht es um Jazzmusik, schwarze Amerikaner/-innen und deren Geschichte. Nun ja, tatsächlich. Das schlicht gehaltene Bändchen versammelt Interviews mit Superstar Wynton Marsalis, der Organistin Amina Claudine Myers, den Sängerinnen Shirley Horn, Abbey Lincoln, Cassandra Wilson und Dianne Reeves, Amiri Baraka, Gil Scott-Heron, der Poetin Jayne Cortez, Stanley Crouch und Oscar Brown jr., die der Berliner Publizist zwischen 1994 und 2005 für diverse Zeitungen und Verlage geführt hat. Allesamt unter dem Aspekt entstanden, dass die Erfahrung des Rassismus bis heute eine wie auch immer geartete Rolle im Leben und damit im Werk, in der Kunst dieser einflussreichen Repräsentanten afroamerikanischer Kultur spielt. Die „black codes“ sind im übertragenen Sinn zu verstehen, als die untergründigen Schichtungen in der gesprochenen und der musikalischen Sprache. Ursprünglich waren es Verfassungszusätze einiger südlicher Bundesstaaten, mit denen die freigelassenen Sklaven gezwungen wurden, weiterhin unter höchst rigiden Vorschriften zu leben. Auch nach der Erkämpfung der vollen Bürgerrechte existier(t)en Beschränkungen der Freiheit und des persönlichen Bewegungsraumes darüber hinaus fort. Auf anderen Ebenen natürlich und in anderer Form. In seinen klug aufgebauten Interviews, die von viel Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl, Cleverness und Respekt vor der individuellen und künstlerischen Integrität zeugen, versucht Broecking, diesen rassistischen Vorzeichen beizukommen. Nicht in allen Fällen gelingt ihm das gleich gut. Leicht machen es ihm der Publizist Stanley Crouch und Jazz-At-Lincoln-Center-Leiter Marsalis, deren Haltungen und Ansichten zum Jazzgeschehen heftig umstritten sind. Kein gutes Haar lässt Marsalis an den meisten Kritikern, die ihmzufolge „alte Paternalisten, verkappte Rassisten [sind], die es lieben, wenn sie uns [den schwarzen Musikern, Anm.] den Kopf streicheln können, und nicht begriffen haben, dass diese Zeiten vorbei sind.“ Dann beschreibt er die Erfolge in der Erziehung und Bildung von Kindern, die mit einem mit Hilfe der Louis Armstrong Stiftung entwickelten Lehrplan die „Geschichte unserer Musik“ weitergibt. Eine gescheite Sache, um Talente wachzukitzeln, zu fördern und benachteiligten Kindern zu helfen, in ihrer Entwicklung weiterzukommen. Das allerdings ist in Amerika bestimmt in vielen Regionen und Bevölkerungskreisen dringend geboten. Genauso dringlich wären solche positiven Ansätze – gerade auch mittels Musik und musischer Erziehung – ebenso in vielen unserer Schulen. Aber darüber schreiben andere.