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An Ungerechtigkeiten reiche Freundschaft

Untertitel
Ein Handbuch beleuchtet das komplexe Beziehungsgeflecht Wagner – Nietzsche
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Wagner und Nietzsche. Kultur – Werk – Wirkung. Ein Handbuch, herausgegeben von Stefan L. Sorgner, James H. Birx und Nikolaus Knoepffler (Rowohlts Enzyklopädie) Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008, 512 S., € 17,95 ISBN 978-3-499-55691-3

Im Schrifttum über Friedrich Nietzsche und Richard Wagner schwingt in der Regel sehr viel Subjektives mit, und die Aufgabe, jedem der beiden Antagonisten dieser an Ungerechtigkeiten reichen „Sternenfreundschaft“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kommt durchaus einer Schlingerpartie zwischen Skylla und Charybdis gleich. Die Polarisierung der Schriftsteller war offenbar unausweichlich, und nach wenigen Sätzen Lektüre war der bisherigen Literatur zu entnehmen, ob der jeweilige Verfasser mehr zur Seite Wagners oder Nietzsches tendierte. Gleichzeitig haben sich in der Fülle der Literatur zu diesem Thema scheinbar unausrottbare Fehlschlüsse eingebürgert, die zwar auch wiederholt widerlegt wurden, wovon aber nachfolgende Autoren häufig keine Notiz nahmen, wodurch so mancher Irrtum bis heute bestehen blieb. Ausgelöst wurden und werden derartige Fehlschlüsse insbesondere durch nachweisliche Lügen und bewusste Geschichtsverfälschung seitens von Nietzsches Schwester Elisabeth Foerster-Nietzsche.

Nun hat sich im Jahr des 125. Todestages von Richard Wagner der 1973 geborene Philosoph Stefan Lorenz Sorgner, zusammen mit James H. Birx und Nikolaus Knoepffler zum Ziel gesetzt, dem Phänomen Kultur – Werk – Wirkung der beiden Autoren in einem Handbuch gerecht zu werden. Einzelaspekte werden schwerpunktmäßig aus der Feder unterschiedlicher Wissenschaftler beleuchtet: 30 Einzelartikel zu Kulturen, Religionen, geisteswissenschaftlichen und biologischen Themen sowie Personen, über die sich Wagner und Nietzsche primär ausgetauscht haben und die sie beeinflusst haben. Ein erster systematischer Vergleich der theoretischen Grundlagen von Nietzsche und Wagner, mit einem abschließenden Themenkomplex zur Wirkung Wagners und Nietzsches in Musik und Philosophiegeschichte. Die Betrachtung unter thematischen Schwerpunkten wie Kulturen (z.B. Antike), Religionen (z.B. Buddhismus), geisteswissenschaftliche (z.B. Politik) und biologische Themen (z.B. Ernährung, Sexualität), Personen (z.B. Schopenhauer, aber nicht Beethoven!) gemahnen gleichwohl an die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund der vorgeblichen, bruchlosen Kontinuität sehr umstrittenen „Wagner-Enzyklopädie“ der „Haupterscheinungen der Kunst- und Kulturgeschichte im Lichte der Anschauung Richard Wagners“ von Carl Friedrich Glasenapp (2 Bd., Leipzig 1891). Aber gewichtige jüngere Abhandlungen zum Thema finden in diesem Handbuch keine Berücksichtigung; so werden etwa die umfangreichen Abhandlungen von Joachim Köhler und Manfred Eger nur je dreimal marginal erwähnt.

Die Behauptung in der von Sorgner und Robert Ranisch verfassten Einleitung, umfangreichere „Überlegungen hinsichtlich Nietzsches Ideen [...] als derer Wagners“ lägen „in dem Umstand begründet, dass die Überlegungen eines Philosophen zu theoretischen Themen in der Regel ergiebiger sind als die eines Komponisten“, ist nun gerade für Wagner und seine umfangreichen Schriften nicht zutreffend. Erfreulich daher, dass Wagners theoretische Schriften in diverse Artikel eingeflossen sind. Vorbildlich ist in diesem Zusammenhang Ulrike Kienzles Untersuchung über „Buddhismus“ zu nennen. („Gerade das, was Wagner am Buddhismus schätzt: das Ideal der Gewaltlosigkeit (...), insbesondere gegenüber Tieren, lehnt Nietzsche nunmehr als Zeichen der Schwäche ab.“) Beim „Streitfall Christentum“ folgert Peter Hofmann, es verbiete sich, „Parsifal“ eine unmittelbar „,christliche‘ Wirkung unterzuschieben, wie es Nietzsche in polemischer Übersichtigkeit nahe legt. Mit so schlichtem Argument lässt sich dieser Knoten wohl nicht zerhauen. Denn auch Wagner arbeitet sich ab am Phänomen der ‚Dekadenz‘; er berührt sich in der Diagnose durchaus mit Nietzsche, auch wenn der Dissens über die notwendige Therapie bleibt“. Aufschlussreich ist John Deathridges Beitrag zur „Moderne“, während Duncan Large zum Thema „Ernährung“ wohl nicht intensiv genug recherchiert hat, da er Wagners späte Phase des Vegetariertums (bis zum Beginn der Komposition der Blumenmädchenszene) unterschlägt. Trotz Günther Pöltners Abhandlung zu Wagners Theorieschrift „Oper und Drama“ und diversen Artikeln zu den Musikdramen (wie auch zu diesem von Wagner abgelehnten Begriff) kommt die Musikanalyse in diesem Band zu kurz, insbesondere hinsichtlich der Kompositionen Friedrich Nietzsches. Immerhin erfährt der Leser, dass Kompositionen von Nietzsche-Texten oder mit Bezug auf diesen Philosophen „die scheinbar ungebrochene Präsenz im Diskurs Nietzsches im intellektuellen Diskurs“ zu belegen scheinen. Lückenhaft ist das Personenregister (hier fehlt beispielsweise der Hinweis auf Peter Ruzicka, S. 459), hilfreich das Sachregister. Eine Zeitleiste dient dem Leser für den Nachvollzug der Reflexionen der Persönlichkeiten. Eine wichtige Neuerscheinung mit in der Vielzahl der beteiligten Autoren begründeten partiellen Widersprüchen und der bedauerlichen Tatsache, dass sich ein derartiges Handbuch nicht einmal auf eine einheitliche Rechtschreibung festlegen kann, (da Dieter Borchmeyer auf der alten Rechtschreibung besteht).

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