„Über sieben Brücken (musst du geh’n)“ sucht der pophistorisch geneigte Jungspund oder intellektuelle Altrocker in Dedekinds ausgiebiger Spurensuche vergeblich. Zu recht!
Lässt sich doch von Karats 79er-Hitalbum – in Westdeutschland unter dem Titel „Albatros“ veröffentlicht – keine auch noch so verdeckte Spur zu den dezidierten Krautrockepigonen „Ihre Kinder“, „Lokomotive Kreuzberg“ oder „Checkpoint Charlie“ ziehen. Vielleicht würde eine vergleichende Untersuchung der Pop-/Rockgeschichte der DDR (Karat) und der BRD (Krautrock) interessante, bisher unentdeckte Parallelen oder entsprechend vergleichbare Entwicklungen zu Tage fördern – und Peter Maffay damit als legitimen Krautrockerben adeln. Die Nutzung der deutschen Sprache in der Rockmusik als widerständiges Element (West) gegen die Dominanz des Angloamerikanischen einerseits und als verordnete Spießigkeit (Ost) gegen Sittenverfall und Kulturlosigkeit der drogen- und sexverseuchten Westbourgeoisie andererseits.
Aber nicht nur bei der Verwendung der (Mutter-)Sprache ließe sich möglicherweise die eine oder andere Entsprechung oder Überraschung entdecken. Allerdings hat sich die Rock- und Popmusik der DDR unter gänzlich anderen Bedingungen entwickelt und musikgeschichtlich betrachtet kaum eine nennenswerte Rolle gespielt, im Unterschied zum Jazz in der „Ostzone“. In der Mitte der Gesellschaft ist die deutsch(sprachig)e Rockmusik allerdings auch erst mit „Kraftwerk“, Udo Lindenberg, den „Scorpions“ und den Bombastrockern von „Eloy“ angekommen. Diese Entwicklung lief ab etwa 1973 und erreichte ihren Höhepunkt mit der Neuen Deutschen Welle – NDW. Zuvor Entstandenes war, wie vieles was heute am Popmarkt aufkeimt, ein Minderheitenprogramm. Ein musikalisches Randphänomen, dessen Wirkungen und Ausstrahlungen dennoch weit über das hinausreichten, was die Verkaufszahlen ihrer Tonträger im Vergleich mit der angloamerikanischen Konkurrenz vermuten lassen. Teilweise hält die Strahlkraft von Bands wie „Can“, „Amon Düül“, „Tangerine Dream“ oder „Harmonia“ bis heute an, wie Referenzbezeugungen von Franz Ferdinand, Thurston Moore, The Secret Machines oder John Frusciante belegen. Die musikalischen Experimente und Ideen kreativ-chaotischer Hippie-, Jazz- und Rockmusiker aus einem verhältnismäßig schmalen Zeitfenster zwischen etwa 1968 bis Ende der 70er-Jahre haben Widerklänge in den späteren Entwicklungen von Ambient, über World Music bis zur elektronischen Szene von heute gefunden.
Dedekind zeichnet in seinem lesenswerten Musikgeschichtsbuch die zeitgeschichtlichen Faktoren, die zur Entstehung des sog. Krautrock geführt haben, die Arbeits- und Produktionsbedingungen und die gesellschaftlichen Umstände in sechs Kapiteln nach. Von der knapp gehaltenen Vorgeschichte – Beatbands der frühen 60er, R&B und Soul in GI-Lokalen, politische Wut und Aufbruchstimmung – bis zum Niedergang in den 70ern. Den sieht Dedekind in politischer Resignation, Flucht in Fantasie- (und Esoterik-)Welten, Enttäuschungen und „einer zunehmenden Professionalisierung“ heraufdämmern. Mit der Professionalisierung, an der es nach Meinung Roman Bunkas (Embyo) eigentlich sogar deutlich gemangelt hat, habe eine „schleichende Kommerzialisierung“ eingesetzt. Es waren wohl beide Entwicklungen, die parallel Bands wie „Missus Beastley“ untergehen ließen und den „Scorpions“ oder „Eloy“ internationale Höhenflüge ermöglichten. Sind Beginn/Aufbruch und Ende/Niedergang noch klar und deutlich nachvollziehbar, ist in den dazwischen liegenden Kapiteln nicht immer ganz klar, wo man sich gerade bewegt oder befindet. Das mag zum Teil an der Zeit liegen, die eine Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen Politik und Persönlichem obsolet erscheinen ließ. Analytische Unschärfen, eine gelegentliche Detailarmut und Vagheit resultieren vermutlich aber auch aus dem gewählten Blickwinkel, der ein großes Wohlwollen, beinahe Begeisterung oder Fantum für die Krautrockära verrät. Per se ist daran sicher nichts auszusetzen. Wenn aber in der Liste der Danksagungen Günter Ehnerts „Rock in Deutschland“ von 1980 (Taurus Press) nicht einmal erwähnt wird, obwohl Dedekind von dieser frühen Fleißarbeit eindeutig – vermutlich sogar kräftig – profitiert hat, ist das ein bisschen schade. Vieles, was dort in Bandporträts und in der verdienstvollen Rowohlt-Reihe zur populären Musik erstmals aufgearbeitet ist, findet sich, ergänzt durch Interviews und zahlreiche Zitate von Zeitzeugen ,bei Dedekind im zeitlichen Fluss einer spannenden Erzählung wieder. Von der stark politisierten Seite der Ära bis zur „technischen Revolution“ bei Instrumenten und Bühnentechnik hat Dedekind die Übergangs- oder revolutionäre Durchgangssituation dieser Zeit gut nachvollziehbar herausgearbeitet. Bei der Bewertung hätte etwas weniger nostalgisches Bedauern und ein deutlicherer Blick auf Ökonomie und künstlerische (Weiter-)Entwicklung gut getan.
Empfehlenswert ist das Buch dennoch, beileibe nicht nur weil Krautrock in den Vereinigten Staaten, Japan und „Good old England“ ganz hoch im Kurs steht.