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Von Büroklammern, Burgen und bösen Hexen

Untertitel
Das „Ritter Rost“-Phänomen und der neue Band „Prinz Protz“
Publikationsdatum
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Ritter Rost und Prinz Protz, Jörg Hilbert mit Musik von Felix Janosa, ConBrio Verlag, Regensburg 1998, 40 Seiten, gebunden + Bonus CD, 39 Mark.

Ritter Rost und seine Freunde sind heute aus vielen Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. Für alle, die bisher vom „Ritter“-Virus noch nicht infiziert wurden, erfolgt ein einführender Blick auf das bereits vorhandene „Rost“-Material: „Der Ritter war ganz aus Blech gemacht und mampfte zum Frühstück am liebsten ein Müsli aus Reisnägeln und Büroklammern. Dazu gab es belegte Hufeisen und eine Tasse dampfendes Maschinenöl...“ So fängt der erste Band „Ritter Rost“ an. Nicht nur der Blechritter, auch sein ganzes Schloß, ja beinahe seine ganze Welt ist aus Blech. Es verkörpert also auch den Charakter des Ritters. Er gibt vor, eine harte Schale zu haben und unverletzbar zu sein, aber es steckt nicht viel hinter dieser äußeren Fassade. Erstaunlicherweise lebt bei diesem Ritter Rost ein sehr nettes Burgfräulein namens Bö. Sie sorgt dafür, daß auf dem Schloß alles seinen rechten Gang geht; sie kocht, putzt, wäscht, näht, kurz: sie ist die gute Seele des Schlosses. In der ersten Geschichte bekommt diese Wohngemeinschaft ein neues WG-Mitglied und zwar den Drachen Koks. Er ist noch ein ganz kleiner Drache und hat deshalb auch nur ein Feuerzeug als Nase, aber das kann er so einsetzen, daß sich der Blechritter zutiefst vor ihm fürchet. Im zweiten Band „Ritter Rost und das Gespenst“ geht es um ein Ritterturnier, bei dem Rost sein Ritterpatent verlängern muß. Rost markiert nach außen natürlich wieder den Starken, aber eigentlich hat er riesige Angst davor, daß er das Turnier nicht gewinnen und damit sein Ritterpatent erlöschen würde. Ohne die Unterstützung von Bö wäre das vermutlich auch genau so eingetreten, da ein unbekannter Schwarzer Ritter doch bedrohlich besser zu sein scheint, als der Angeber Rost. Da äußerer Schein und Sein ja bekanntlich sehr häufig zwei verschiedene Paar Schuhe sind, muß der Ritter am Ende erkennen, daß sein Herausforderer, der so furchterregende Schwarze Ritter, eigentlich ein kleiner, sehr netter Geist ist, mit dem Koks sich angefreundet hat. Mit dem Titel „Ritter Rost und die Hexe Verstexe“ präsentiert sich der wohl beste „Ritter Rost“- Band. Denn darin luchst eine richtig gemeine und bösartige Hexe mit einer Statur à la Hella von Sinnen dem Ritter seinen Drachen Koks ab. Sie schleppt ihn mit auf ihr Schloß, um ihn dort richtig zu knechten und zu quälen. Und ohne die patente Bö wäre das wohl das Ende des kleinen Drachen gewesen. So gibt es jedoch nach einer richtig spannenden und oft auch sehr lustigen Abenteuergeschichte wieder mal ein Happy End. Zwei Besonderheiten unterscheiden „Ritter Rost“ allein optisch von dem bestehenden Kinderrepertoire. Zum einen sind sie alle Kinder-Musicals, die Lieder sind in Form von Noten und Texten im Buch enthalten, wie sie in die Geschichten eingebaut sind. Wer Lust hat, kann also seiner Kreativität freien Lauf lassen und mitsingen oder musizieren. Zweitens enthält jedes Buch auch eine CD. So können sich auch Kinder, die noch nicht lesen können, die Geschichten und Lieder anhören und dabei die Bilder im Buch betrachten. Jörg Hilbert besitzt einen humorvollen Schreibstil mit viel Wortwitz. Einfühlsam werden Einzelheiten auch bis in die Details der Zeichnungen weitergedacht, so daß Bilder und Text schließlich zu einer liebevollen Einheit werden. Felix Janosa ist Musikpädagoge, Kabarettist und Musiker. Vielleicht ist es gerade diese Mischung, die auch die Musik im „Ritter Rost“ von den üblichen Kinderliedern unterscheidet. Vom klassischen Kinderlied über Rock’n Roll und Blues bis hin zum Rap bietet sie dem Hörer eine abwechslungsreich breite Klangfacette und ist damit völlig „up to date“. Zu Beginn des vierten Bandes („Ritter Rost und Prinz Protz“) gibt es Ärger, da der Blechritter dem Burgfräulein Bö bei der Hausarbeit nicht unter die Arme greift, sondern sie alleine schuften läßt. Er selbst zieht es vor, für Stunden auf dem Klo zu verschwinden und die Zeitung „Stahl und Eisen“ zu lesen. Koks würde Bö sicherlich freiwillig helfen, aber der liegt krank im Bett. – Sein Lied „Ich hab’ so Fnupfn“ ist ein absolut hitverdächtiger Ohrwurm. So wächst Bö die Arbeit über den Kopf, und sie beschließt, sich einen Diener zum Sonderpreis zu genehmigen. Daß Sonderpreise meist mehr versprechen als sie halten, merkt man sehr schnell, denn Bö ist mit der Wahl ihres Prinz Protz auf ein echtes Ekel hereingefallen. Prinz Protz führt sein Opfer Bö auf sein Schloß und stellt sie seiner Mutter „Kehrlinde, Freifrau von Putz und Scheuermann“ vor. Mutter Protz ist auch nicht gerade eine Sympathieträgerin, und so kann einem Bö wirklich leid tun, denn sie darf ab sofort nur noch „Liebsein und Schön-sein“. Bald findet Bö auch heraus, daß Prinz Protz noch 99 weitere Burgfrauen auf seinem Schloß gefangen hält. Also wird es Zeit etwas gegen Protz zu unternehmen. Ritter Rost und Koks vermissen unterdessen natürlich das nette Burgfräulein. Und sie tun alles in ihrem Bereich mögliche, um sie zurückzugewinnen... Alle Bände des „Ritter Rost“-Musicals verdienen es, gehört und gelesen zu werden. Und nicht nur von Kindern, auch die Erwachsenen werden ihren Spaß an den Geschichten haben. Inhaltlich kann man jedoch eine qualitative Steigerung von Band zu Band bemerken, da die ersten beiden Abenteuer von der Story her nicht ganz so unterhaltsam sind wie die letzten beiden Geschichten. Die meisten Lieder jedoch sind in allen vier Bänden überdurchschnittlich gut. Und sie werden durch die ständig sich abwechselnden Musikrichtungen nie langweilig; so kann dem klassischen Kinderlied ein Blues folgen oder dem Pophit ein Rap. Eine Kritik schließlich gilt der Wahl des Sprechers der CDs. Im üblichen sonoren Märchenstil wird das Ganze zwar sehr angenehm vorgetragen, aber es gelingt diesem Erzählton (leider!) nicht immer, die Spritzigkeit des vorhandenen Wortwitzes und die Lebendigkeit des Textes zu treffen. Aber, wie schon gesagt: Alles ist subjektiv! Das beste wird es wohl sein, wenn Sie das „Ritter Rost“-Phänomen irgendwann einmal an sich selbst erleben!

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