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Von Kastraten, Diven, Stars und Claqueuren

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Großformatiger Band führt durch die Operngeschichte in Wort und Bild
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Der Ton macht die Musik, in der Oper auch das Wort, das Schauspiel, das Bühnenbild, der Tanz. Heute ist das Musiktheater nicht mehr das, was Konstantin Stanislawski noch vor 100 Jahren in Russland abzuschaffen suchte: ein „Konzert im Kostüm“ statt „wirkliches Schauspiel“.

Richard Somerset-Ward: Oper. Ein Streifzug durch 400 Jahre Musiktheater. Knesebeck Verlag München, 1999, 304 Seiten, 98 Mark. Der Ton macht die Musik, in der Oper auch das Wort, das Schauspiel, das Bühnenbild, der Tanz. Heute ist das Musiktheater nicht mehr das, was Konstantin Stanislawski noch vor 100 Jahren in Russland abzuschaffen suchte: ein „Konzert im Kostüm“ statt „wirkliches Schauspiel“. Ob unterhaltsam oder gesellschaftskritisch, Oper fasziniert als Zusammenschau aller Kräfte, denen Filmproduzent Richard Somerset-Ward ein stattliches Buch gewidmet hat. Was im Haupttitel lapidar „Oper“ heißt, entpuppt sich als anschauliche Zeitreise durch die 400-jährige Geschichte einer Kunstform, die beim „Dramma per Musica“ ihren Anfang nahm und bis zu experimentellen Spielarten reicht, bei denen das breite Publikum ausblieb, um sich dem populären Musical zuzuwenden.

Doch auch an der Schwelle zum neuen Jahrtausend hat die Oper nichts von ihrem Zauber eingebüßt, obwohl sich Regisseure, deren Herrschaft eigentlich erst in diesem Jahrhundert begann, den Vorwurf gefallen lassen müssen, das Werk durch extravagante Einfälle preiszugeben. Somerset-Ward, für den Oper eine „multimediale Unterhaltungskunst“ ist, arbeitet sich durch praktisch alle Facetten der Operngeschichte, so dass der Leser nicht nur großen Namen wie Mozart, Verdi, Wagner oder Puccini begegnet, sondern auch den Kastraten, Diven oder den Stars des Belcanto. Und den Claqueuren, die mit ihrem Applaus das Publikum lenkten, wofür sie sogar entlohnt wurden. Eine italienische Preisliste von 1919 liefert Somerset-Ward auch. Der Ruf „Zugabe“ brachte sage und schreibe 50 Lire ein, „gewöhnlicher Applaus“ dagegen nur 10 Lire.

Die manchmal nüchternen Stationen seiner Epochen-Tour lockert der Autor mit zitierten Bonmots auf. Man darf sich einmal mehr am Witz eines Richard Strauss erfreuen, der den kaiserlichen Ausspruch, dass die umstrittene „Salome“ dem Komponisten nur schaden könne, später mit dem Satz quittierte: „Von dem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen,“ Kunst und lukratives Geschäft? Für Strauss keine Gegensätze.

Somerset-Ward streut auch interessante Details ein. Etwa dass Richard Wagner in seiner Dresdener Zeit eine „50-seitige Skizze zu einem Musikdrama über Jesus von Nazareth“ anfertigte oder Nationalist César Cui bei „William Ratcliff“ ausgerechnet auf ein Stück von Heinrich Heine zurückgriff. Wie das Beispiel Cui zeigt, übergeht der Autor auf seinem umfangreichen „Streifzug“ selbst nebensächliche Erscheinungen nicht. Auch sie haben auf ihre Weise schließlich Spuren hinterlassen. Dass man dennoch nicht jeden trifft, der einige Zeilen verdient hätte (so Alexander Zemlinsky), ist angesichts der Fülle des Stoffes verzeihlich. Reich illustriert bietet das großformatige Buch viel fürs Auge. Da wird Operngeschichte zum glanzvollen Bildband, der aufbietet, was man in solchen Werken erwarten darf: Gemälde, Stiche, Karikaturen, Porträts, Fotos von Inszenierungen. Man sieht Maria Callas als Norma 1958 in Rom oder Arturo Toscanini mit Geraldine Farrar und Giulio Gatti-Casazza um 1913 nach einer Probe. Auch den Sonnenkönig lässt das Buch tanzen. Als strahlender Apollo erscheint Ludwig XIV. auf einer Gouache, die daran erinnert, wie eng der Tanz zur französischen Oper gehörte. Was will man mehr.

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