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Wagner – für hier, heute und morgen

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Udo Bermbach verankert Wagner und dessen Werke in Gesellschaft und Politik
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Udo Bermbach: Blühendes Leid. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2003, 363 S., € 39,95, ISBN 3-476-01847-4

Enkel Wieland Wagner hat schon vor seinem frühen Tod 1966 festgestellt, dass die Wagner-Literatur vor 1951 am besten weggeworfen würde. Leider ist auch seither vieles erschienen, was den Worte-Nebel um diese sperrig herausragende Künstlerpersönlichkeit nur verdichtet statt aufgelöst hat. Oft ändern dann Bücher von außen, also nicht aus der Musik- oder Theaterwissenschaft die Sichtweise: so nun der neueste Band, der mittlere einer kommenden Trilogie zu Richard Wagner – ein Buch des ehemaligen Professors für Politische Theorie und Ideengeschichte Udo Bermbach.

Ein bestechend formuliertes, dennoch gut lesbares Buch: „Blühendes Leid – Politik und Ge sellschaft in Richard Wagners Musikdramen“ von Udo Bermbach. Mit dem Kurzzitat aus Brünnhildes Schlussgesang geht der Ideengeschichtler zunächst an Wagners Wurzeln.

Denn dessen Musikdramen schweben nicht im ästhetischen Wolkenkuckucksheim, sondern sind geprägt von Wagners enormer Belesenheit in der Literatur des deutschen Vormärz, im französischen Frühsozialismus und im Anarchismus des frühen 19.Jahrhunderts. Hinzu kommen die in der Märzrevolution von 1848 gewonnenen politischen Überzeugungen. Bermbach belegt, dass dies alles in den drei großen Kunstschriften Wagners im Züricher Exil zusammenfließt und alle Werke prägt. Bermbach politisiert also nicht den Künstler Wagner und liest aus dessen Werken das, was ihn als Politologen interessiert, einseitig heraus.

Wagner selbst sah seine Werke gerade nicht losgelöst und ins vermeintlich reine Reich absoluter Kunst entschweben, sondern modern gesprochen: „systemkritisch“ – er selbst hat formuliert: „Das absolute Kunstwerk ist ein vollständiges Unding“ – und aufgrund dieser Verwurzelung der Werke in der gesellschaftspolitischen Realität schließt Bermbach, dass man die Werke ohne die ihnen innewohnende politische Ästhetik nicht adäquat verstehen kann.
Schon in den frühen Werken – „Die Feen“, „Liebesverbot“ und „Die heilige Braut“ – schält Bermbach viele Motive politisch-ästhetischer Kritik heraus: am Adel, an der Kirche, an den erstarrten Formen bürgerlichen Zusammenlebens. „Rienzi“ zeigt dann den Aufstieg und Fall eines ursprünglich volksnahen, dann zwischen den Fronten von Volk, Adel und Kirche zerriebenen Revolutionärs. Im „Fliegenden Holländer“ gibt es angesichts der bestehenden kommerziellen und gesellschaftlichen Verhältnisse eine Art Erlösung nur durch Selbstvernichtung.

„Tannhäuser“ ist der Künstler-Rebell, ein individualistischer Anarchist, der die falsche Ruhe der Etablierten stört, der Grenzsituationen an sich erprobt und selbst – wie die Frau, die ihn liebt – den Tod im Gehäuse der Institutionen findet. „Lohengrin“ löst Bermbach ganz aus dem Dunst blauer Romantik und beweist Wagners Gegenentwurf einer charismatischen Herrschaft, die prompt scheitert. Im vermeintlich unpolitischen „Tristan“ belegt Bermbach den Zusammenprall von Gesellschaftsordnung und moderner Subjektivität, den Entwurf einer Liebesutopie gegen die industrielle und damals wie heute durchkapitalisierte Welt.

„Poetische Regeln demokratischer Selbstregierung“ in einer Stadtgemeinde und vor allem die Einstufung des Einzelnen durch seinen künstlerischen Beitrag zur Bürgergemeinschaft – das arbeitet Bermbach fesselnd aus den vermeintlich nur komödiantischen oder grandios festlichen „Meistersingern“ heraus. Aufstieg und Untergang allen strategisch-technokratischen Denkens, Anfang und Ende aller Politik im „Ring des Nibelungen“ – da geht Bermbach weit über George Bernard Shaw und Chéreaus „Jahrhundert-Ring 1976“ hinaus. In völliges Neuland führt Bermbach dann seine Leser, wenn er „Parsifal“ als den fünften Abend der „Ring“-Tetralogie sieht: Quasi-liturgische Rituale werden nur eingesetzt, um am Ende eine völlig andere, nämlich ästhetische Weltordnung zu beschwören, die nach der Erlösung durch den Gral der Kunst kommen könnte – Wagners, diese unsere Welt fundamental in Frage stellende Kunst-Utopie. Doch parallel zu all diesen faszinierenden Einsichten zeigt Bermbach immer wieder, wie sich die Ideenwelt auch musikdramatisch in den Kompositionen immer weiter und komplexer ausbildet.

Den heikelsten Zug des Gesamtwerkes umgeht Bermbach nicht, Wagners Antisemitismus. Er bestreitet ihn nicht und referiert den Stand der derzeitigen „nicht abschließbaren Diskussion“. Er selbst findet aber keine konstitutiven, also die Bühnenwerke in Ansatz, Kern und Aussagen prägenden Züge. Doch Figuren wie Alberich, Mime, Beckmesser oder in Teilen Kundry erlaubten aufgrund ihrer Sprechweise und Figurenzeichnung antisemitisch eingestellten Zuschauern des 19. und 20.Jahrhunderts klischeehafte jüdische Konnotationen, von denen Bermbach hofft, dass sie nach 1945 und dem Holocaust nicht mehr möglich sind. Doch viel wichtiger und zeitlos gültiger erscheinen Bermbach in Wagners Werken die konkreten Gegenentwürfe zu dieser unserer Welt: Es sind gleichsam kritische Stachel aus dem „linken“ Spektrum gesellschaftspolitischen Denkens. Sie pflanzen utopische Hoffnungen in die Gesellschaft – vielleicht nicht realisierbar, aber von einem auch nicht veraltenden Aufforderungscharakter, der immer wieder neu zu beleben ist, gegen den „Status quo“. Mit dieser fesselnden Aktualisierung der Musikdramen wird Bermbachs „Blühendes Leid“ zum wichtigsten Wagner-Buch dieses Jahres, zu einem unverzichtbaren alternativen Opernführer – und zu einer Herausforderung an die Regisseure des 21. Jahrhunderts.

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