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Wagner und das ewige Brodeln

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Zwei Bücher reflektieren und beleuchten die „Werkstatt Bayreuth“
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Die Bayreuther Festspiele haben sich immer als eine Art Werkstatt verstanden. Aber seit Anbeginn brodelte es auch: Sollte man die Opern ihres Begründers möglichst werkgetreu nach dessen Vorgaben inszenieren, was trotz seines berühmten Ausspruchs „Kinder! Macht Neues!“ lange als Credo galt, oder der Maxime folgen, zu der sich selbst die Traditionshüterin Winifred Wagner 1931 durchrang: „Der Inhalt ist ewig, die Form ist wandelbar“? Die faszinierende Einheit seines Gesamtkunstwerks mit Ton, Geste und Bild wird wohl auch künftig ebenso spalten wie animieren.

Seit 2017 gibt es parallel zu den Festspielen den „Diskurs Bayreuth“, ein Gesprächsforum zwischen Regisseuren, Musikern und Wissenschaftlern. Unlängst erschien bei Bärenreiter der dritte Diskurs-Band zum Thema Wagner-Regie, eine geglückte Verbindung von historischer Darstellung und aktueller Diskussion. Der Band beginnt gleichsam mit einem Paukenschlag, nämlich einer Darstellung der beinahe abenteuerlichen Genese des „Jahrhundert-Rings“ von Patrice Chereau und Pierre Boulez, als Wolfgang Wagner zuerst Peter Stein zuneigte, sich dann aber mehr und mehr den noblen Franzosen öffnete. Ebenso erhellend Kai Köpps Beitrag zur heute fast befremdlichen Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts. Zwei zentrale Texte porträtieren dann zum einen den Regisseur und Dirigenten Heinz Tietjen vor allem in seiner zentralen Rolle für Bayreuth zwischen 1930 und 1944, zum anderen – mit dem Titel „Frauenzimmerpolitik“ sehr schön zu lesen! – die Festspielleiterinnen Cosima und später Winifred Wagner (vor allem Erstere musste sich mit enormer Courage gegen zahllose Anfeindungen ihrer patriarchalisch bestimmten Zeit durchsetzen). Siegfried Wagner, zwischen den beiden Frauen Festspielleiter, lief, wie Markus Kiesel zeigt, am Ende Gefahr, dass die Festspiele in erstarrte Tradition abglitten.

Was bedeutet das alles für die heutige Zeit? Hier sind es überwiegend jüngere Regisseure, die teilweise konträr über Stil und Ästhetik von Inszenierungen diskutieren, sie alle mit Erfahrungen schon in Bayreuth (Tobias Kratzer mit dem „Tannhäuser“ 2019) oder an anderen Häusern. Es ist ein überaus anregendes, in seiner Fairness gegenüber anderen Positionen auch beispielhaftes Gespräch darüber, was heute im Musiktheater möglich ist.

Den von Festspielleiterin Katharina Wagner begründeten „Diskurs“ kann man beispielhaft als gedankliches Experimentierfeld für alle nur möglichen theatralischen Umsetzungen ansehen. Wagners Konzept vom Musiktheater als Gesamtkunstwerk regt heute, so scheint es, mehr noch als in früherer Zeit die künstlerische Phantasie an. Wer nur ein bisschen das Theater liebt, wird auch an diesem gedankenreichen Buch seine Freude haben.

Ein Werkstattbuch ganz eigener Art kam bei Beck mit Wagners Lohengrin  heraus. Eigentlich „nur“ ein bibliophil aufgemachtes Textbuch, aber illustriert mit Skizzen und Entwürfen, die Neo Rauch und seine Partnerin Rosa Loy im Jahr 2018 für die Bayreuther Inszenierung entworfen hatten – Skizzen zu den Hauptdarstellern, zum Herold und den Bewaffneten, vor allem aber zu den Frauen und Mädchen im Chor, gerade Letztere in einer berührenden Schlichtheit und Natürlichkeit. Neo Rauch, längst ein Star der internationalen Kunstszene, hat hier, was dann auch Kritiker der Aufführung bestätigten, seinen fabelhaften Einstand in Bayreuth gegeben.

Den Band beschließt eine Einführung von Christian Thielemann, der die Oper damals dirigiert hatte (und auch 2020 wieder dirigieren sollte!); sie zeigt seine immense Erfahrung mit Wagner: „Wieviel Struktur braucht Wagners Musik? Wieviel verträgt sie? Die Antwort geben einem Handwerk, Gefühl und die eigene Erfahrung.“ Thielemann hatte damals Neo Rauch nach Bayreuth geholt, dem er jetzt nachrühmt, sich total auf das „letztlich nicht Erklärbare in dieser Musik“ eingelassen zu haben. Und zum tiefen Blau, das Rauch gewählt hatte: „Es war uns beiden sofort klar, dass der ,Lohengrin‘ nur blau sein kann.“ Das Buch, fast ein Wagner-Geschenkbuch, hätte durch Szenenfotos und einen kurzen Text des ebenso gefeierten wie umstrittenen US-Regisseurs Yuval Sharon wohl noch zusätzlich gewonnen.

  • Szenen-Macher. Wagner-Regie vom 19. Jahrhundert bis heute (Diskurs Bayreuth, Bd. 3), hrsg. v. Katharina Wagner/Holger von Berg/Marie-Luise Maintz, Bärenreiter, Kassel 2020, 238 S., € 38,95, ISBN 978-3-7618-2492-4
  • Richard Wagner: Lohengrin in Bildern von Rosa Loy und Neo Rauch, C. H. Beck Verlag, München 2020, 152 S., Abb., € 34,00, ISBN 978-3-406-75066-3

 

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