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Wegweiser in Thomas Manns Musikwelten

Untertitel
Über die musikalisch-literarische Begeisterung des Schriftstellers Mann
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Volker Mertens: Groß ist das Geheimnis. Thomas Mann und die Musik, Militzke Verlag, Leipzig 2006, 288 S., CD, € 34,90, ISBN 3-86189-747-4

Wenn Musik und Literatur, wie Franz Liszt einst behauptete, seit „Jahrhun-der­ten wie durch eine Mauer getrennt“ waren und „die auf beiden Seiten derselben Wohnenden“ sich nur dem Namen nach zu kennen schienen, war es erstmals der Romantik vorbehalten, diese Anonymität der unmittelbaren Nachbarschaft zu durchbrechen. Nicht nur Doppelkünstlerfiguren wie E.T.A. Hoffmann, sondern auch Dichter wie Tieck, Wackenroder oder Novalis waren es, die den poetischen Nährwert von Musik für die Literatur erkannten und sich zunutze machten. Einer der prominentesten Vertreter dieser musiko-literarischen Begeisterung war im 20. Jahrhundert, neben Marcel Proust oder James Joyce, Thomas Mann. Sein dichterisches Werk, aber auch seine Briefe und Tagebücher sind voll von musikalischen Ideen, Themen, Verarbeitungen, Hörerfahrungen.

Obwohl gewiss kein neu entdecktes Thema, so doch meist nur punktuell aufgearbeitetes, hat der Germanist Volker Mertens das Mann‘sche Werk nun umfassend ausgewertet und, nach Ausstrahlung einer 25-teiligen Rundfunk-Reihe, in Buchform gebündelt. Ein sorgsam gearbeitetes Buch, kenntnisreich, aber nie belehrend, ausgiebig zitierend und doch sensibel für Detailbeobachtungen. Mertens erweist sich als verlässlicher Wegführer auf dichtem, mitunter schwer einsehbarem Gebiet. Allein die Wagner-Rezeption wurde immer wieder zu einem der meist diskutierten Themen der gesamten Thomas-Mann-Forschung. Mertens zieht sich vornehmlich auf das Referieren von Gelesenem zurück. Er zeigt die frühe Begeisterung des jungen Schriftstellers für Wagner ebenso wie seine Lust, die musikalische Leitmotiv-Technik auf die Literatur zu übertragen. Mertens zeigt aber auch, wie sich Thomas Mann mit zunehmendem Alter moralisch von Wagner distanzierte. Ebenso ausführlich wie kenntnisreich werden auch Manns Beziehungen zu Richard Strauss und Hans Pfitzner beleuchtet, zu seinem musikalischen Freund Bruno Walter und zu seinem Ratgeber in Fachfragen Theodor W. Adorno. Eine willkommene Krönung stellt die beigefügte Musik-CD dar, auf der Mertens einige von Thomas Manns Lieblingsmusiken zusammengetragen hat, und zwar nicht in handelsüblichen Neuaufnahmen, sondern in jenen Einspielungen, die der Schriftsteller selbst nachweislich in seinem Plattenschrank aufbewahrt hat.

So weit, so gut. Doch auch die Schwächen dieses Bandes wollen benannt sein. Da sind einerseits die sich summierenden Zitatwiederholungen. Wenn Mertens das Grammophon-Kapitel aus dem „Zauberberg“ vorstellt und dann fünf Kapitel später in „Thomas Mann und die Schallplatte“ abermals so grundlegend referiert, als habe er sich noch nie zu diesem Thema geäußert, drängt sich dem Leser der Verdacht auf, dass die Manuskripte der Rundfunk-Reihe für diese Buchausgabe zu Teilen unverändert übernommen worden sind. Bedauerlich auch, dass Mertens zahlreiche Nachweise seines immensen Wissens schuldig bleibt, etwa wenn er behauptet, dass Mann die Schumann‘sche Rückert-Vertonung „Grün ist der Jasminenstrauch“ durch seine Mutter kennengelernt habe, da diese „gerne romantische Lieder sang“. Die Genauigkeit der von ihm mitgeteilten Fakten – etwa im Pfitzner-Kapitel – und die eher legeren Nachweise im Anhang bilden einen fragwürdigen Widerspruch. Außerdem lässt Mertens einen gewissen Mut zur Deutung vermissen. So ausgiebig er aus Thomas Manns Werken und Notizen zitiert, so gern hätte man sich Mertens, zumindest an einigen Stellen, als wirklichen Text-Exegeten gewünscht. Vielleicht ist auch dies der Rundfunktauglichkeit geschuldet, jedenfalls muss der Leser darauf weitgehend verzichten. Übrigens wäre für die langen Prosa-Zitate ein – wie bei den Lyrik-Zitaten – klarer abgegrenztes Layout wünschenswert gewesen. Alles in allem: Ein Buch mit klarem Für und Wider, konzipiert für jedermann, für den Literatur- und den Musikneugierigen, nicht primär für den Wissenschaftler.

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