Richard Wagner konnte nichts dafür, dass er zum Lieblingskomponisten von Adolf Hitler wurde. Und auch Mozart und Beethoven konnten sich nicht dagegen wehren, von der NS-Ideologie zu Heroen des „deutschen Geistes“ verklärt zu werden. Dass dabei manche Musiker und musikalische Institutionen widerstanden, andere mitgemacht haben, ist bekannt. Eine der besonders willfährigen Einrichtungen war gleich nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 das Mozarteum in Salzburg. Jetzt hat die Stiftung Mozarteum ihre Geschichte in den Jahren 1938 bis 1945 selbst erforscht. Größtenteils Mitarbeiter der Stiftung haben in vierzehn Beiträgen deren Geschichte in der NS-Zeit analysiert.
Das Mozarteum will das Erbe Mozarts wahren und pflegen. Es war 1841 zusammen mit dem Salzburger Dommusikverein gegründet worden, hatte sich aber von diesem 1880 getrennt und war seitdem ein eigenständiger, vor allem von Salzburger Bürgern getragener Verein „Internationale Stiftung Mozarteum“.
Nach Deutschland bestand von Anfang an reger Kontakt, der sich nach 1918 verstärkte, als ohnehin viele Menschen im „Rumpfösterreich“ erwartungsvoll nach Deutschland blickten. Bald nach dem „Anschluss“ im März 1938, der auch in Salzburg bejubelt wurde, änderte man die Stiftungssatzung. Wie der Stiftungspräsident Albert Reitter (1895–1962) mit Genugtuung konstatierte, wurde „an Stelle des liberalistischen Vereinswesens das straffe, nationalsozialistische Führungsprinzip gesetzt“. Das „Internationale“ im Vereinsnamen wurde gestrichen.
Reitter hatte Präsident Franz Schneiderhan (Großonkel von Wolfgang Schneiderhan) beerbt. In seiner Person spiegelt sich die Gleichschaltung des Mozarteums in eklatanter Weise. Er war nicht nur fast bis Kriegsende Stiftungspräsident, sondern Landesstatthalter, dann Regierungspräsident und Gauhauptmann. Seit 1938 war er Mitglied der NSDAP und der SS. Unter ihm wurde das Mozarteum williges Werkzeug der NS-Kulturpolitik. In umtriebiger Weise beteiligte sich die Stiftung an drei großen Mozartausstellungen im Gedenkjahr 1941 und rühmte, wo es nur ging, den „deutschen Geist“ Mozarts.
Unterstützt wurde er von seinem Generalsekretär, dem Musikwissenschaftler Erich Valentin (1906–1993) und dem ehrgeizigen Bibliothekar Erich Schenk (1902–1974). Im Krieg war es vor allem Valentin, der unablässig danach trachtete, überall in Europa wertvolle Mozartautographe aufzuspüren, wobei man auch jüdische Besitzer anschwärzte.
Die unmittelbare Nachkriegszeit der Stiftung verlief relativ glimpflich. Die ausgelagerten Bestände konnten dank kunstsinniger US-Offiziere fast vollständig zurückgeführt werden. Im Jahr 1948 konstituierte sich ein neuer Vorstand, dem bis Anfang der 1950er-Jahre wieder eine „normale“ Arbeit gelang. Auch belastete Repräsentanten wurden bald wieder aufgenommen. Reitter wurde 1960 das Bürgerrecht der Stadt Salzburg verliehen; bei seiner Beisetzung war die Spitze von Stadt und Land anwesend! Wie bei Bundesministerien in Deutschland hat es auch in Österreich bei Kultureinrichtungen lange gedauert, bis deren Rolle in der NS-Zeit systematisch erforscht wurde. Es ehrt die Stiftung Mozarteum, jetzt derart selbstkritisch dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte in den Blick genommen zu haben. Es ist gleichermaßen eine Geschichte ihrer maßgeblichen Repräsentanten als auch eine Darstellung, wie sich das Mozarteum im Rahmen der NS-Kulturpolitik verhielt.
Das Buch zeigt auch, wie anfällig anerkannte Wissenschaftler und Künstler für die NS-Ideologie waren. Der Leiter des Bonner Beethovenhauses Ludwig Schiedermair (1876–1957) beispielsweise, der Reitter 1938 geschrieben hatte, dass sein Haus erfolgreich nach dem „Führerprinzip!“ umgeformt worden sei, und der im Mozarteum eine leitende Funktion innehatte, ist mit seinem Buch über den jungen Beethoven allgemein anerkannt. Auch Schenk und Valentin hatten als Musikwissenschaftler einen guten Ruf. Das Buch geht darauf nur beiläufig ein; die Lektüre regt aber dazu an, diese Zusammenhänge mitzudenken.
Eine eigene Geschichte bringt geradezu die List der Vernunft hervor. Durch Valentin angeregt, hatte Reitter bis in höchste Kreise der NS-Führung ventiliert und erreicht, dass Hitler zu seinem 52. Geburtstag im April 1941 dem Mozarteum eine halbe Million Mark für eine Mozart-Gesamtausgabe bewilligte. Die Stiftung ergoss sich in Danksagungen, kam aber dann, salopp gesagt, „nicht zu Potte“. Bis Kriegsende war nicht ein einziges Manuskript, geschweige ein Band fertig. Dabei war ein Großteil der Summe schon nach Salzburg überwiesen worden. Das Geld lag bei Kriegsende auf einem Sonderkonto, das die Salzburger Landesregierung schließlich freigab, wodurch das Mozarteum die Nachkriegsjahre verhältnismäßig gut überstand.
- Die Internationale Stiftung Mozarteum und der Nationalsozialismus. Politische Einflüsse auf Organisation, Mozart-Forschung, Museen und Bibliothek, hrsg. von Alexander Pinwinkler/Oliver Rathkolb, Anton Pustet Verlag, Salzburg 2022, 456 S., Abb., € 49,00, ISBN 978-3-7025-1022-0