Zu Lebzeiten war der italienische Komponist und Cellist Luigi Boccherini äußerst beliebt: Gott würde die Menschen zwar mit Haydn-Klängen beglücken; doch wenn er sich selbst vergnügen wollte, so würde er Boccherini hören – dieses Bonmot eines französischen Geigers machte in ganz Europa die Runde.
Babette Kaiserkern hat nun eine Darstellung zu Leben und Schaffen des in Madrid wirkenden Italieners vorgelegt, dessen Stern nach seinem Ableben alsbald sank. Obwohl ein Teil des Nachlasses in der Berliner Staatsbibliothek liegt, handelt es sich um die erste umfängliche Boccherini-Biografie im deutschsprachigen Raum. Die Autorin sah sich einer schwierigen Quellenlage gegenüber. Der Komponist hinterließ nur wenige Dokumente; darunter drei Testamente und rund 30 Briefe. Die Entstehung etlicher Werke liegt im Dunkeln.
Der in Lucca geborene Musiker ließ sich nach Konzertreisen durch Österreich und Frankreich in Madrid nieder, wo er für den spanischen Hof tätig war. Kurios ist, dass Boccherini auch Spuren am Preußenhof hinterließ, obwohl weder ein Aufenthalt im Brandenburgischen noch eine persönliche Begegnung mit dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. bezeugt sind. Der Monarch teilte jedoch die Leidenschaft für das Violoncello mit Boccherini, der in seine Kompositionen die neuesten spieltechnischen Errungenschaften für dieses Instrument einbezog. 1787 wurde Boccherini zum Preußischen Hofcompositeur ernannt; fortan schickte er seine Kammermusik per Pferdepost von Spanien nach Potsdam.
Babette Kaiserkern zeichnet ein lebendiges Bild von der elfjährigen Regentschaft Friedrich Wilhelms. Der König war, anders als sein Onkel Friedrich II., mit seinen ästhetischen Vorlieben auf der Höhe der Zeit. Er förderte Hofoper, Hofkapelle, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt sowie die Errichtung klassizistischer Bauten und Parkanlagen.
Sein letzter Wohnsitz war das Marmorpalais im Potsdamer Neuen Garten. Nebenan in der Orangerie ließ er einen holzgetäfelten Palmensaal mit ausgezeichneter Akustik bauen. Hier fanden allabendlich Konzerte statt, an denen sich der König als Cellist beteiligte.
Im Buch wechseln biografische Abschnitte mit solchen zum Werk Boccherinis, der sich vorrangig der Kammermusik widmete. Im Zentrum seines Schaffens stehen rund 100 Streichquartette und 125 Streichquintette. Auch in der Erstfassung seines „Stabat Mater“ wird der Sopran von einem Quintett begleitet.
In der Quintett-Besetzung mit zweifachem Cello reizte Boccherini die Bandbreite zwischen sattem Vollklang und raffiniertem Kontrapunkt aus; er entfaltete die Gleichberechtigung der fünf Instrumente und bezog die angesagten Musikstile der europäischen Kulturzentren ebenso ein wie spanische Folklore.
Zum Abschluss erläutert Babette Kaiserkern, warum der einfallsreiche Komponist nach seinem Ableben in Vergessenheit geriet: Seine liebliche, subtile Musik kam in den immer größer werdenden öffentlichen Konzertsälen nicht mehr zur Geltung. Zweitens passt eine an der thematischen Arbeit der Wiener Klassiker geeichte Messlatte nicht auf einen Komponisten, dem es um das Auskosten von Stimmungen und verspielte Form-Experimente ging. Und schließlich bevorzugte das Publikum im Zeitalter aufkommender Nationalstaaten einheimische Komponisten.
Seit einigen Jahrzehnten wird Luigi Boccherini im Zuge des Alte-Musik-Aufschwungs wiederentdeckt. Babette Kaiserkerns anregendes, einfühlsam formuliertes Buch ist ein weiterer Beitrag zur Rehabilitierung dieses überaus originellen Komponisten.
Babette Kaiserkern: Luigi Boccherini. Leben und Werk. Musica amorosa, Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2014, 268 S., Abb., € 28,00, ISBN 978-3-7374-0213-2