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Christian Utz: Komponieren im Kontext der Globalisierung. Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, transcript Verlag, Bielefeld 2014, 438 S., Abb., € 39,99, ISBN 978-3-8376-2403-8
Christian Utz: Komponieren im Kontext der Globalisierung. Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, transcript Verlag, Bielefeld 2014, 438 S., Abb., € 39,99, ISBN 978-3-8376-2403-8
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Zwischen Schmonzette und Identitätskonstruktion

Untertitel
Christian Utz legt seine Studie zum „Komponieren im Kontext der Globalisierung“ in überarbeiteter Form vor
Publikationsdatum
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Man freut sich über eine solche Ankündigung. Endlich eine Publikation, die aufgreift, was sowieso mit Händen zu greifen ist und den Liebhabern einer zeitgenössischen Kunstmusik in jedem zweiten, dritten Konzert über den Weg läuft. Komponisten, deren Biographien kreuz und quer durch die Windrose gehen und deren Werke Namen tragen, die sich haargenau dieser Erfahrung verdanken. „Komponieren im Kontext der Globalisierung“. Tendenz steigend.

Keine Frage, dass Christian Utz mit diesem Buchtitel den Nagel auf den Kopf getroffen hat. So möchte man den Autor denn auch gleich beruhigen, wenn er im Vorwort sein Bemühen um die Verbindung von „Interkulturalität“ und „Kunstmusik-Diskurs“ als „doppelte Don-Quichotterie“ empfindet. Mag ja sein, dass die „musikalische Globalisierung“ mittlerweile, wie Utz meint, von einem „technologie­zentrierten Mediendiskurs“ abgelöst worden sei. Und wenn schon! Das ganze Netz-Theater kann einem ja doch gestohlen bleiben, sofern man mit Einsichten darüber entschädigt wird, was sich in Sachen „musikalische Interkulturalität“ von John Cage bis Tan Dun so abgespielt hat und abspielt – Komponistennamen, die hier deshalb erwähnt werden, weil sie Utz erwähnt, und zwar im Untertitel seiner 2002 publizierten musikwissenschaftlichen Dissertation, die in dieser Globalisierungsschrift „in grundlegend überarbeiteter, neu pointierter und überdachter Form“ auf den Markt kommt.

Ein Hinweis, den der Leser ebenso gern zur Kenntnis nimmt wie er andererseits darüber recht unbekümmert hinweggeht, da ihn naturgemäß weniger die „Form“ als der Inhalt interessiert, eben besagte Konkretion „von John Cage zu Tan Dun“ – Fisch und Fleisch, die in diesem Buch tatsächlich serviert werden, nur allerdings – es gehört zum spezifischen Ansatz des Autors – nicht (in jedem Fall) schon filetiert, (fast) immer in Verbindung mit und auf einem Anrichtteller musikhis-torisch-ästhetischer Provenienz. Eben daran ist Utz nicht minder gelegen wie an seinen Analysen zur „neuen ostasiatischen Musik“ oder auch an seinen „Fallbeispielen in Grenzbereichen kultureller Identitäten“. Anspielung auf Isang Yun, Yuji Takahashi, José Maceda, aber auch auf György Ligeti, Chaya Czenernowin und Isabel Mundry.

Spätestens an dieser Stelle, im Kontext einer aus Konkretion und Abstraktion verwobenen Darstellung, bemerkt der Leser, dass Utz seiner „neu pointierten“ Neuerscheinung auch einen neuen Untertitel mit auf den Weg gegeben hat. Die „Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts“, die der Autor liefern möchte, zeigen an, dass dieses Buch einen vor allem akademischen Sitz im Leben hat und auch dahin schielt. Nur so lässt sich auch die Manier erklären, dass Utz im Anhang als sein eigener Text-Archäologe penibel die bibliographischen Nachweise liefert derjenigen „insgesamt 37 verschiedenen Publikationen“, die in dieses Buch eingegangen seien. Damit beeindruckt man die Fachkollegen, sichert sich die nächste Einladung zum Fachchinesisch-Kongress. Den Leser schreckt man ab. Als dessen Anwalt hätte man sich doch zumindest, ausgearbeitet mit gleicher Akribie, ein gesondertes Komponisten- und Werkverzeichnis gewünscht, was den Gebrauchswert dieser 400-Seiten-Publikation entscheidend erhöht hätte. Zwangsläufig bringt es dieses aus Aufsätzen generiertes Buch unweigerlich mit sich, dass Informationen zu X, Einsichten zu Y wie mit der Pfeffermühle verstreut sind. Was umso bedauerlicher ist als andererseits ganz klar ist, dass der Autor in jedem Fall etwas zu sagen hat. Nicht selten überrascht Utz den Leser mit Erkenntnissen zur „musikalischen Interkulturalität“, die das Zeug haben, unser musikalisches Basiswissen anzureichern. Etwa, wenn er uns wissen lässt, dass Strawinsky „die Bedeutung russischer Volksmusik als Quelle eigener Werke drastisch herunterspielte“. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von einer „Tendenz zur Verdeckung des ethnischen Kontextes, die sich in den sehr einflussreichen, ausschließlich auf kompositionstechnische Aspekte beschränkten Strawinsky-Analysen von Olivier Messiaen und Pierre Boulez nach 1945 noch fortsetzte“. Eine jener zahlreichen Passagen, wegen derer man den akademischen Vortragston letztlich augenzu­drückend in Kauf nimmt. Christian Utz ist ein kluger Autor mit viel Wissen im Gepäck, das er (man muss das betonen) durchaus in verständlicher Form darzustellen in der Lage ist wie etwa in seiner luziden „kurzen Geschichte der Hemiole“, jener alten Technik der Komponisten, ohne Kenntnis außereuropäischer Musiken konfliktmetrische Überlagerungen zu bauen.

Überhaupt ist diese Publikation eine einzige Fundgrube für gewisse Strategien und Haltungen von Komponisten, die man mit Skrupulosität einerseits, mit Naivität andererseits umschreiben möchte. So ist das (leider etwas) schma­le Isang Yun-Kapitel durchaus mit hochgezogenen Augenbrauen geschrieben insofern sich Utz doch einigermaßen wundert über gewisse „Polarisierungen“, über die „pauschale Art der Gegenüberstellung“ von „koreanisch“ und „europäisch“, von „West“ und „Ost“, immer dann, wenn Yun selbst auf seine Kompositionssprache Bezug nimmt. Man geht weiter und staunt nun selber nicht schlecht, wenn man liest, dass Zeitgenosse Tan Dun eigentlich nicht anders verfahren sei als schon Komponisten-Kollege Puccini, der auf der Spieluhr des Baron Edoardo Fassini im August 1920 drei chinesische Melodien hörte, um eine davon, die Molihua, die Jasminblüte, „fast wörtlich als zentrales Motiv in seine Oper Turandot“ zu übernehmen. Und was macht Tan Dun in seiner „Symphony“ aus dem Jahr 1997 keine fünfzehn Jahre, nachdem man ihn als „Gefolgshund des Kapitalismus“ beschimpft hatte? Er „rekurriert“, so Utz, „eindeutig auf Puccini beziehungsweise die westlichen Aneignungen der Melodie und nicht etwa auf eine der Varianten chinesischer Volksmusikpraxis“. Wer an dieser Stelle noch die entspre­chende Fußnote konsultiert, ist angekommen in der Praxis dessen, was Christian Utz „post-koloniale kulturelle Identitätskonstruktion“ nennt, will sagen: Ohne Schmonzetten keine „Identität“, geschweige denn „Identitätskonstruktion“. „KPCh-Generalsekretär Jiang Zemin soll zustimmend geschmunzelt haben, als er während der Uraufführung von Tans Symphony die Melodie von Molihua erkannte.“

  • Christian Utz: Komponieren im Kontext der Globalisierung. Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, transcript Verlag, Bielefeld 2014, 438 S., Abb., € 39,99, ISBN 978-3-8376-2403-8
     

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