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Zwischen Wohlbefinden und Leistungsdruck

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Vermutungen und Gewissheiten zum Thema Singen in zwei Neuerscheinungen
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Musik, was ist sie, was bewirkt sie? Die Sängerin Edda Moser sagt: „Musik weckt Gefühle auf, die tief in uns schlummern. Musik erreicht Nerven und Gefühle im Körper, die normalerweise stillgelegt sind.“ Aber wer sich ihr verschreibt, zumal das Singen zum Beruf macht, erlebt meist etwas ganz anderes. Sängerin oder Sänger zu sein, ist Hochleistungssport, und die entsprechende Plackerei dominiert alles andere.

Christa Ludwig, ebenfalls unvergessene Primadonna, sagt es so: „Dieser Beruf ist eine elende Sklaverei. Es ist schwer, als Sänger ein normales Leben zu führen.“ Beide Aussagen zitiert der Musikjournalist Bjørn Woll in seinem Buch über „Alltag und Magie des Sängerberufs“.

Sehr viel unbefangener geht der an der Universität Oldenburg lehrende Musikwissenschaftler Gunter Kreutz das Singen an. Er geht von Laien aus, vor allem von Chorsängern, die in der  Gemeinschaft Lebensfreude und Erfüllung finden. Sein Fazit gegenüber dem Leser: „Vertrauen Sie Ihrer Singstimme und machen Sie sich und andere glücklich. Ohne Risiken und mit höchstwahrscheinlich positiven Nebenwirkungen.“ Seine nach Analysen unter musikalischen, sozialen, medizinischen und psychologischen Aspekten gewonnene Auffassung ist: Singen mache per se den Menschen glücklicher, mache ihn ruhiger, sozial verträglicher und alles in allem auch gesünder.

Dass Singen glücklicher und gesünder mache, zeigt er an der frühkindlichen Entwicklung ebenso wie am sozialen Leben Erwachsener und an der Therapie kranker Menschen, wobei die geschilderten Beispiele bis zu Schlaganfall- und Alzheimerpatienten reichen. In Anlehnung an den britischen  Gesundheitswissenschaftler („und leidenschaftlichen Chorsänger“) Stephen Clift schreibt er dem Singen Wohlbefinden und Entspannung, richtige Atmung und Körperhaltung, soziale Geborgenheit, größere Emotion und endlich positive Auswirkungen auf das Herz und das Immunsystem zu. Mitunter zieht er sich allerdings von allzu großem Optimismus auch wieder zurück, denn verräterisch oft tauchen Vokabeln wie „ahnen“, „legt nahe“ und „es scheint“ auf. Vermutung, so spürt der Leser, ist doch nicht immer gleich gesichertes Wissen. 

Bjørn Woll geht es konkret um den Beruf des Sängers. Sein Buch ist zum 20-jährigen Bestehen des Hamburger Opernstudios entstanden, das seit Jahren von der dortigen Körber-Stiftung unterstützt wird. Und wenn auch er sich von der Macht des Gesangs gefangen nehmen lässt, so zeichnet er doch – fast zwangsläufig – mit Blick auf den Alltag des Sängers ein sehr viel differenzierteres Bild. Woll stützt sich auf gehaltvolle Gespräche mit berühmten Künstlern, etwa den Sängerinnen Anja Silja, Anje Harteros, Angelika Kirchschlager, Christa Ludwig und Edda Moser, den Sängern Thomas Quasthoff, Matti Salminen und Johannes Kränzle sowie dem Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe und dem Wiener HNO-Arzt Reinhard Kürsten (laut Fritz Wunderlich ein „Kehl- und Seelentröster“).

Sie alle unterstreichen, wie sehr das Privatleben hinter dem Beruf zurücktreten muss, wie groß die Gefahr ist, dass  kleinste Schwächen oder gesundheitliche Probleme die Karriere gefährden, wie miserabel angesichts der intensiven Arbeit die Bezahlung ist, wie der moderne Musikbetrieb ständige Bestform verlangt („einmal folgenlos scheitern, ist eigentlich gar nicht mehr möglich“), auch durch die omnipräsenten Internetforen und Videoplattformen („wir müssen im Grunde jeden Abend in Aufnahmequalität singen“). Und alle sagen, dass es nicht auf die Stimme allein ankommt, sondern dass künstlerischer Ausdruck und überhaupt Persönlichkeit und Charakter des Sängers hinzukommen müssen, um in dieser „Trinität“ annähernd an das Sänger-Ideal heranzukommen.

Der Leser folgt der Darstellung mit wachsender Sympathie; sie ist so gar nicht besserwisserisch geschrieben, sondern breitet Licht und Schattenseiten dieses für die Beteiligten am Ende doch faszinierenden Berufs sorgfältig aus, um mit einer Mahnung an Politik und Kulturverantwortliche zu enden, sich engagierter um das kostbare Instrument Oper und um deren Künstler zu kümmern. „Operngesang ist Spitzensport“, sagt der Wiener Arzt Reinhard Kürsten; die Betroffenen wissen es längst, sie werden sich hier bestätigt finden. Für den Laien und Musikliebhaber ist es eine beglückende und doch auch bedrückende Lektüre.            

  • Gunter Kreutz: Warum Singen glücklich macht, Psychosozial-Verlag, Gießen 2014, 192 S., € 16,90, ISBN 978-3-8379-2395-7
  • Bjørn Woll: Mehr als schöne Stimmen. Alltag und Magie des Sängerberufs, Geleitwort von Kent Nagano, edition Körber-Stiftung 2014, Hamburg 2014, 304 S., Abb., € 19,00, ISBN 978-3-89684-159-9

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