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Die gut ausgewählte SZ-Sammlung „Jahrhundert Geiger“
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Nach dem Klavier-Kaiser nun also der Geigen-Eggebrecht. Und im Grunde könnte man das meiste, was Reinhard Schulz anlässlich der ersten Klassik-CD-Box der Süddeutschen Zeitung kommentiert hat (nmz 2/05), auf diese neue Zusammenstellung übertragen: Die Frage nach der Auswahl, bei der jeder einen anderen Namen vermissen wird, die Problematik der plastischen Etikettierung von facettenreichen Musikerpersönlichkeiten und der Verweis auf wahrscheinliche Überschneidungen mit der bereits vorhandenen privaten Plattensammlung.

Auch was die Berücksichtigung neuerer Musik betrifft, ist gegenüber Kaiser nur eine kleine Verschiebung zu konstatieren. Immerhin haben aber Werke von Schnittke (4. Violinkonzert), Rochberg (Paganini-Variationen), beide von Gidon Kremer gespielt, und Dutilleux’ „Sur le même accord“ in Anne-Sophie Mutters Einspielung den Weg in den Geigen-Olymp geschafft. Zudem erweitert sich mit Yehudi Menuhins Ausflügen in den Jazz und in die indische Musik sowie mit Itzhak Perlmans Joplin-Ragtimes der Horizont in musikalische Bezirke jenseits der Klassik. Erfreulich auch, dass mit Andrew Manze ein herausragender Vertreter der historischen Aufführungspraxis berücksichtigt wurde (mit Tartini, Biber, Vivaldi, Händel und Corelli).

Attraktiv wird die Box überdies durch einige Live-Raritäten aus den Rundfunkarchiven: Neben der Rochberg-Aufnahme begeistert vor allem Julia Fischer mit einer fantastischen Deutung des Sibelius-Konzerts und einem überzeugenden Plädoyer für Hinde­miths Solosonate op. 11/6. Wertvoll auch Frank Peter Zimmermanns souveräne Bewältigung des Berg-Konzerts, die – begleitet vom Concertgebouw Orchester unter Riccardo Chailly – leider mit Beginn der Choralbearbeitung ein wenig an Konzentration nachlässt.

Mit Hilary Hahn (Barber, Bach, Vaughan Williams) und Vadim Repin (Tschaikowsky-Konzert u.a.) bekennt Harald Eggebrecht sich erfreulicherweise zu weiteren Virtuosen der jüngeren Generation und weiß seine Wahl kenntnisreich zu begründen.

Hinzu kommen legendäre Interpretationen, deren Rang außer Zweifel steht (Oistrach mit der Franck-Sonate und – live unter Mitropoulos – dem ersten Schostakowitsch-Konzert, Huberman mit Beethovens Konzert und der Kreutzer-Sonate, und Referenzaufnahmen von weniger gängigem Repertoire (die Konzerte von Walton, Goldmark, Korngold und Britten mit Heifetz, Milstein, Mutter und Haendel).

So überzeugend die Auslese ist, so enttäuschend fällt unterm Strich die Kommentierung aus. Das liegt keineswegs an Eggebrecht selbst, dessen pointierte, Neugier weckende Charakterisierungen man mit Gewinn liest, sondern an der akustischen Präsentationsform: In einer Spanne von knapp drei bis zehn Minuten bietet sie nicht mehr als eine (kaum erweiterte) Lesung der Klappentexte. Die Veranschaulichung durch Klangbeispiele ist zwar begrüßenswert, aber entbehrlich, weil meist leicht auffindbare Passagen angespielt werden. Ergiebiger wäre ein CD-ROM-Teil mit klangtechnisch komprimierten, dafür aber detaillierteren Kommentaren gewesen, möglicherweise auf der Basis von Eggebrechts früherer NDR-Sendereihe „Große Geiger“. Schade, dass diese Chance der Vermittlung großer Interpretationskunst auf mehreren medialen Ebenen nicht konsequenter genutzt wurde.

Jahrhundert Geiger. 16 Violinvirtuosen auf 20 CDs. Ausgewählt und kommentiert von Harald Eggebrecht. Verlag Süddeutsche Zeitung, ISBN 978-3-86615-3799-0, 99 Euro

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