Der nächste Berg ist hinter Oslo – zumindest von Hamburg aus gesehen. Fjell, Wasserfälle, Mitternachtssonne, Wanderer mit großen Rucksäcken und dunkle, tief verschneite Wintermonate, diese Bilder werden einem Jeden bei dem Gedanken an Norwegen durch den Kopf gehen. Dazu Musik: schnarrende Hardangerfideln, Griegs Per Gynt. Doch halt, Norwegen ist weit mehr als eine landschaftlich-musikalische Idylle. In Norwegen, wie in ganz Skandinavien, existiert eine lebendige und vielfältige Musikszene, die gerade in ihren experimentellen und jazzverwandten Ausprägungen nicht zu unterschätzen und in den gemäßigten Zonen Mitteleuropas zum Teil noch viel zu wenig bekannt ist.
Noch ein Label mehr? Nun, zugegeben, es ist kein neugegründetes Label, SOFA existiert seit nunmehr vier Jahren und kann inzwischen auf eine beachtliche Zahl von 16 Veröffentlichungen verweisen. SOFA ist in Norwegen beheimatet, in einem der großen weiten Länder im Norden Europas, in denen Internet und Co nicht von ungefähr schon recht früh große Verbreitung fanden. Die skandinavische Musikszene schuf schon vor vielen Jahren eine Internetplattform als Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeit für die zum Teil weit verstreut schaffenden Musiker und Komponisten. Aber zum musikalischen Austausch gehört mehr. Das Medium CD hat noch immer Vorrang in der repräsentativen Außenwirkung und Verbreitung von Musik, von Musikern und Szenen. Und da es schwierig ist, ein Label für die eigene Musik zu finden, gründeten die beiden jungen Norweger Ingar Zach und Ivar Grydeland im Jahre 2000 ihr Label SOFA. Unterstützung finden sie bei der norwegischen Kulturstiftung, allerdings lassen sich nicht alle Produktionen mit diesen Geldern vollständig finanzieren. Wie so oft ist immer wieder auch ein Teil Eigenfinanzierung durch die Musiker notwendig. Doch das Ziel bleibt: unabhängig zu werden und die Produktionskosten durch das Label selbst auffangen zu können. Eine Utopie oder ein erreichbares Ziel?
Musik aus Skandinavien, Musik aus Europa, Klänge, deren Wurzeln in verschiedenen Stilistiken verankert sind. Schwerpunktmäßig ist dabei die junge der in den 70er-Jahren geborene Generation von vor allem norwegischen und schwedischen Musikerinnen und Musikern vertreten. Sie kooperieren mit Kollegen aus England, Deutschland, aus Griechenland, Frankreich oder den USA. Sie spielen mit Musikerinnen und Musikern ihrer Generation ebenso wie mit „Altmeistern“ der freien Improvisationsszene, von denen lediglich einige Namen erwähnt werden sollen: Tony Oxley, Phil Minton, Barry Guy, Philipp Wachsmann. Die Reihe ließe sich fortsetzten.
Doch welche interessanten Musiker sind es, deren Namen zum Teil seit Jahren in der Szene geläufig sind, zum Teil auf dem besten Wege sind, über Grenzen hinweg bekannt zu werden? Wie so häufig in der improvisierten Musik treffen Musiker unterschiedlicher Herkunft aufeinander. Diese liegt im Jazz oder der klassischen (zeitgenössischen) Musik, verzweigt sich hinein in skandinavische Folklore, in Elektroakustik oder Spielarten populärer Genres, um sich in einem gemeinsamen Klangraum zu treffen, zu ergänzen und zu inspirieren. Mit der eigenen musikalischen Entwicklung und Veränderung, so Ivar Grydeland, lässt sich dabei auch eine stilistisch-ästhetische Veränderung ausmachen. Das Label wächst sozusagen mit.
Doch Grydeland und Zach wollen nicht nur das Improvisieren verkaufen. Ihnen liegen Klangqualität und auch ein ansprechendes Coverdesign sehr am Herzen, wodurch sie sich von einigen anderen Kleinlabels abzuheben versuchen. Wiedererkennung ist gegeben, in großen Lettern prangen Titel und Musikernamen auf dem einfarbigen Cover. Tortendiagramme bilden die Zeitspannen der einzelnen Tracks ab. Informationen sind je nach CD knapp oder gar nicht vorhanden. Doch auf der Webseite (www.sofa music.no) erfährt der Suchende Ausführliches über die Musikerinnen und Musiker, kann einige Kritiken von CDs nachlesen oder wird auf musikereigene Seiten verwiesen. Die Liste der Vertriebe und Mailorderkalatolge ist lang. SOFA Records sind sowohl in verschiedenen Ländern Europas als auch in den USA/Kanada und Japan zu bekommen. Für Deutschland sei auf www.open-door.de verwiesen.
„SOFA releases improvised music. We do not sell sofas.“ – so die Auskunft, die man auf der Webseite über das Label erhält, klickt man den üblichen Button „about“ an. Nein, Sofas gibt es keine zu kaufen, statt dessen lässt sich das gekaufte Produkt vortrefflich auf dem Sofa genießen – ob sitzend oder liegend bleibt den geneigten Käufern dabei selbst überlassen.
Drei Kostproben
You should have seen me before we first met; Ingar Zach, Percussion/Sruti Box; Ivar Grydeland, Acoustic & Electric Guitars
SOFA 515Die zweite Duoeinspielung der beiden Labelbetreiber Ingar Zach und Ivar Grydeland ist SOFA Nr. 515. Zwei Konzertmitschnitte, bei denen ähnliches musikalisches Material zu hören ist, auch wenn sie sich charakterlich voneinander unterscheiden. Die beiden Musiker überlagern statische Grundklänge, setzten sich zu Flächen verdichtende Aktionen hinzu und weben organisch wachsende Klangströme.
16 pieces for Organ; Nils Henrik Asheim, Orgel
SOFA 507Die minuziöse Vorausplanung und Strukturierung des klassisch geschulten Interpretierens tritt zurück zugunsten des Zuhörens und Antwortens auf Klang und Geräusch – so die Spielhaltung des Organisten Nils Henrik Asheim. Für seine fast blitzlichtartigen Einblicke in die weit aufgespannten Spektren des Klangraums wählte der Musiker eine Mikrophonierung, die den Klang in der Zuhörerposition mit demjenigen auf der Orgelbank mischt. Das Ergebnis ist präzise und durchhörbar, ohne die Weite der Kirchenakustik zu verfehlen.
No Spaghetti Edition; Real Time Satellite Data
SOFA 513Saiteninstrumente, Saxophon, Trompete und Elektronik. Die achtköpfige Besetzung mischt Geräuschflächen und Farbnuancen zu einem stetig changierenden, sich in ruhigem Grundtenor befindlichen Klangband, das immer wieder ergänzt wird durch distinkte, sich absetzende Aktionen.