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Philippe Manourys „Le Temps, mode d’emploi“
Philippe Manourys „Le Temps, mode d’emploi“
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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Der amerikanische Komponist Ryan Carter ist mit den Verheißungen des Digitalzeitalters ebenso vertraut wie mit seinen Tücken. +++ Die nunmehr dritte Veröffentlichung des Trio Catch bezeugt unter dem Titel „As if“ ein facettenreiches Ausdruckspotenzial in „Als ob-Klängen“ … +++ Alwynne Pritchard agiert als Performerin experimenteller Soloprogramme ebenso wie als Komponistin an der Schnittstelle von Instrumentalmusik und Elektronik. +++ Philippe Manourys „Le Temps, mode d’emploi“ markierte einen der Höhepunkte bei den Wittener Kammermusiktagen 2014.

Der amerikanische Komponist Ryan Carter ist mit den Verheißungen des Digitalzeitalters ebenso vertraut wie mit seinen Tücken. Er nutzt aber nicht nur Computer und Elektronik, sondern schreibt auch Kammermusikstücke, die in traditionellen Besetzungen Bezug nehmen auf Aspekte digitaler Apparaturen und Arbeitsprozesse. Hierbei interessiert ihn insbesondere das Phänomen der Fehlerhaftigkeit ästhetischer Oberflächen. Der Titel seines Streichquartetts „too many arguments in line 17“ (2010) ist der Programmiersprache entlehnt und verweist auf eine Störmeldung. Das Jack Quartett wirft sich mit Verve hinein in den „glitch“ von Carters Form-Zersplitterungen. „When All Else Fails“ (2016/17) für Präparierte Klaviere und Perkussion kommt oberflächlich daher wie eine Hommage an den frühen Cage. Polyrhythmische Überlagerungen und krumme Wiederholungsschleifen evozieren jedoch den Mechanismus einer kaputten Maschinerie. (Kairos)

Die nunmehr dritte Veröffentlichung des Trio Catch bezeugt unter dem Titel „As if“ ein facettenreiches Ausdruckspotenzial in „Als ob-Klängen“ von Gérard Pesson, Johannes Boris Borowski, Paul Juon, Vito Žuraj, Johannes Maria Staud und Wolfgang Rihm. Pessons „Catch Sonata“ (2016) ist namentlich auf die Qualitäten von Boglárka Pecze (Klarinette), Eva Boesch (Violoncello) und Sun-Young Nam (Klavier) geeicht: eine Musik, die zwischen Gestaltbildung und Flüchtigkeit eine immense Differenzierung und Lebendigkeit der Artikulation verlangt. Während J. B. Borowski im titelgebenden Stück ein hintergründig burleskes Spiel mit expressiven Versatzstücken treibt, schlägt Vito Žurajs „Chrysanthemum“ (2014) deutlich verhaltenere Töne an. Das zum Tode Armin Köhlers geschriebene Stück verkörpert ein unruhiges Geflecht gepresster, manchmal gespenstisch volumenloser Klänge, denen am Ende die Luft ausgeht. (bastille musique)

Alwynne Pritchard agiert als Performerin experimenteller Soloprogramme ebenso wie als Komponistin an der Schnittstelle von Instrumentalmusik und Elektronik. Dass die visuelle Ebene der oft theatralisch konzipierten Stücke hier außen vor bleibt, lässt sich verschmerzen. Konzeptionen wie „Loser“ für Klavier, Stimme und Objekte (2014) entpuppen sich als fesselndes Hörtheater einer derangierten Expressivität, die ohne Rücksicht auf den vermeintlich guten Geschmack scheinbar Unvereinbares bereithält. Das Stück verarbeitet Fragmente aus Thomas Bernhards Gould-Persiflage „Der Untergeher“ und integriert Material aus den „Goldberg-Variationen“. Abgründige Zugriffe auf geläufige Musik-Idiome zeigt auch „March, March, March“ (2013), das von der Norwegian Navel Forces’ Band stilecht ins Chaos geführt wird. Ein unheilvolles Amalgam aus flirrend fiependen Violinklängen, elektronisch modifizierten Feldaufnahmen und Stimmen produziert „Irene Electric“ (2013), entstanden in klaustrophobischen Arbeitssituationen während des Hurrikans Irene in New York und im philippinischen Dschungel. (Kairos)

Philippe Manourys „Le Temps, mode d’emploi“ markierte einen der Höhepunkte bei den Wittener Kammermusiktagen 2014. Nun gibt es das beeindruckende Stück für zwei reale und vier „virtuelle“ Klaviere in einer so fulminanten wie ausgefeilten Studioaufnahme des WDR in Co-Produktion mit dem SWR Experimentalstudio. Manoury hat viele Jahre am Pariser IRCAM gearbeit, und seine kompositorische Reflexion über verschiedenste Wahrnehmungs- und Darstellungsmodi des Phänomens Zeit baut auf ein „komplexes System der Klangsynthese, Signalverarbeitung und Verräumlichung“. Dank live-elektronischer Permutationen wird die ‚Mechanik‘ virtuoser Klavierliteratur mitsamt ihres expressiven Vokabulars in ein labyrinthisches „Fresko“ verwoben. Das führt zu teils irrsinnigen Verdichtungen, wo rasende Pulsationsfelder komplett ins Objekthafte umkippen können. Daneben stehen lyrische Passagen, deren kontemplative Aura von perkussiv gedämpften Glockenklängen geprägt wird. Das GrauSchumacher Piano Duo entwickelt in dieser berauschenden „Gebrauchsanleitung“ einen Drive, als wollte es sie hinauskatapultieren aus Raum und Zeit … (NEOS)

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