Neue Musik von, aus, mit: Richard Rijnvos, Fabio Nieder, Los Angeles Percussion Quartet, Gabriel Iranyi, Wittener Tage für neue Kammermusik 2011
Im Zentrum der fünf kleinen Werkgruppen des in Siebenbürgen geborenen und in Berlin lebenden Gabriel Iranyi stehen zwei Lieder über Liebesgedichte von Paul Celan: zarte, pausendurchsetzte und dabei hoch expressive Gesänge, die weite innere Räume öffnen. Die nachfolgenden Stücke für Violine und Klavier klingen zunächst beinahe wie ein instrumentaler Kommentar dazu. Der nach innen gekehrten Klangwelt fehlen aber nicht die dramatischen Momente. Die fein gezeichneten Miniaturen sind reich an Farben, die Präzision des Ausdrucks verrät eine sichere Hand. Eine starke und zugleich zerbrechliche Musik, in der große Gedanken eingekapselt sind – inspiriert wurde sie unter anderem durch Walter Benjamin und Paul Klee. (kreuzberg records kr 10110)
In der Dokumentation der Wittener Tage für neue Kammermusik 2011 sind unter den achtzehn Titeln, größtenteils Uraufführungen, die üblichen Verdächtigen stattlich vertreten. Nicht zu Unrecht, wenn man etwa Lachenmanns Neuversion von “Pression“ für Posaune solo mit dem phänomenalen Mike Svoboda oder die verblüffend lebendige Chorkomposition über einen Prosatext von Schiller von Peter Eötvös hört. Die traditionellen Wittener Klanginstallationen wurden diesmal zur „land art“ erweitert und sind nun auf DVD dokumentiert. Das Ruhr-Flüsschen, die bescheidene, tausendfach misshandelte Schönheit, spielt darin die Hauptrolle. In den Beiträgen von Manos Tsangaris, Peter Ablinger, Stephan Froleyks, Kirsten Reese und Daniel Ott verschmelzen Kunstaktion und Landschaft zu Klang-Bildern von einzigartiger Stimmungsdichte. (kulturforum [at] stadt-witten.de (kulturforum[at]stadt-witten[dot]de))
Das 2008 gegründete Los Angeles Percussion Quartet steht mit seinen Aktivitäten in der Tradition der Schlagzeug-Kompositionen, die in den 1930erJahren, ausgelöst durch Varèses „Ionisation“, vor allem an der Westküste florierte und von Henry Cowell über Lou Harrison bis Roger Reynolds reicht. Mit Eric Guinivan, Sean Heim, Joseph Pereira und Jeffrey Holmes präsentiert das Ensemble vier Komponisten, die den Farbenreichtum des mit afrikanischen, asiatischen, brasilianischen und karibischen Instrumenten angereicherten Schlagzeugapparats kenntnisreich und intelligent nutzen. Die Aufnahmen sind als CD und Blu-ray audio vorhanden. Der technisch perfekte Surround-Klang mit 24/192kHz bietet ein faszinierendes Hörerlebnis. Dagegen wirkt die CD wie ein Auslaufmedium. (Sono Luminus DSL 92150)
„Der Bilderfresser“ nennt Fabio Nieder eine lange Szenenfolge aus seinem Musiktheaterstück „Thümmel oder die Verlöschung des Wortes“. Es handelt von einem geisteskranken Maler aus dem Triest des frühen 20. Jahrhunderts, der seine eigene Existenz schrittweise auslöschen wollte und dabei eine Fülle von labyrinthischen Bildern schuf. Der Komponist, selbst ein begnadeter Zeichner, lässt sich durch diese Visionen zu ebenso fantastischen Klangbildern anregen. Die prozesshaft angelegte Musik ist von starker räumlicher Wirkung, und die raffinierte Verschmelzung von Chorstimmen, Soloinstrumenten und Orchester verrät einen hochentwickelten Sinn für Klangdramaturgie. Nieder hat die Grafik zur CD selbst gestaltet, und herausgekommen ist ein visuell und musikalisch gleichermaßen ansprechendes Produkt. (Winter&Winter 910 188-2)
Mit seinem „NYConcerto“ und den „Manhattan Square Dances“ gibt sich der Holländer Richard Rijnvos dem modernen Großstadt-Feeling hin, und er tut es mit Mitteln, wie sie vor ihm schon viele Komponisten, von Varèse und George Antheil bis Steve Reich, benutzt haben: harte Schnitte, aggressive Rhythmen, motorische Repetitionen und stark von Blech und Schlagzeug dominierte Klangfarben. Es ist eine kantige, konsequent extrovertierte Musik, die unter Dauerspannung steht und in ihrem Bewegungsfuror den Hörer vor sich hertreibt. (Challenge CC72538)