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Bildwelten im Klavierklang

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Heidrun Holtmann mit Klaviermusik von Tal, Avni und Shohat bei NEOS
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Piano Music from Israel – Josef Tal: Cum mortuis in lingua mortua, Essay II; Tzvi Avni: Epitaph – Piano Sonata No. 2, From My Diary – Five Piano Pieces; Gil Shohat: Three Improvisations on Paintings, The Kiss of Salome; Heidrun Holtmann, Klavier, NEOS 11025

Zu Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ gehört der düstere Katakomben-Satz mit der  lateinischen Überschrift „Com mortuis in lingua mortua“. Er erhielt für den aus Berlin nach Palästina geflohenen Josef Tal eine neue, persönliche Bedeutung, als er von der Ermordung seines Vaters, des jüdischen Kantors Julius Grünthal, erfuhr. 1945 schuf er als sein Requiem eine eindrucksvolle Reihe von Klaviervariationen über das Mussorgsky-Thema.

Einige der Variationen, vor allem die abschließende Fuga con variazioni, erheben sich kraftvoll aus dem Dunkel.  Nach der Uraufführung 1945 in Jerusalem geriet die Komposition in Vergessenheit und wurde erst 2006 durch die Berliner Pianistin Heidrun Holtmann wiederentdeckt. Mit ihr eröffnet sie nun eine CD mit israelischer Klaviermusik von Josef Tal, Tzvi Avni und Gil Shohat.

Auch Tzvi Avni, der 1927 als Hermann Steinke in Saarbrücken zur Welt kam, ist während der NS-Zeit ins heutige Israel geflohen. Für Avni  hat sich die Pianistin bereits mehrfach eingesetzt,  2010 brachte sie in Duisburg sein Klavierkonzert zur Uraufführung. Wie Tals Variationenzyklus ist Avnis Klaviersonate Nr. 2 (1979) eine Trauermusik, ein Epitaph. In einem einzigen großen Entwicklungsbogen erinnert sie an seine früh verstorbene Frau, eine Sängerin. Dagegen beziehen sich die knapper gefassten Stücke aus Avnis Klavierzyklus „Aus meinem Tagebuch“ (2001) unter anderem auf Bilder von Paul Klee und Joan Miró.

Vermutlich wegen der verwandten  Thematik, der Beziehung zwischen Musik und Bildern, hat die Pianistin ihre CD um Werke des 1973 geborenen Gil Shohat ergänzt. Dieser Komponist, der inzwischen mit neun Sinfonien und über zehn Solokonzerten eine beängstigende Produktivität an den Tag legte, hat seine „Drei Improvisationen über Gemälde“ als Sechzehnjähriger geschaffen.  Edvard Munchs „Schrei“, Gustav Klimts „Tragödie“ und van Goghs „Caféterrasse“ inspirierten ihn zu extrem unterschiedlichen Klängen zwischen Clus­ter und Gershwin. Mit weiträumigen Arpeggien à la Liszt und Skrjabin illustrierte er 1993 in „Der Kuss der Salome“ den erotischen Rausch der dekadenten Heldin der Strauss-Oper, die damit wohl erstmals in einem Klavierstück porträtiert wurde. Shihats postmoderne Stücke sind kompositorisch noch nicht so ausgereift wie die von Tal und Avni, geben der Pianistin aber Gelegenheit, ebenso vollendete Virtuosität wie großen Klangsinn zu demonstrieren. Auch die Tonqualität der in einem Züricher Radiostudio entstandenen Aufnahme sowie die Ausstattung der CD-Produktion mit einem fundierten, durch Notenbeispiele ergänzten Booklet lassen keine Wünsche offen.

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