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Buddha dirigiert Bruckner

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Zur Bruckner-Edition mit Sergiu Celibidache
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Bruckner: Symphonies Nos. 3-9, Te Deum & Mass in F-minorEMI 7243 5 56688 2 0, 12 CDs (die CDs sind auch einzeln erhältlich.)

Mitunter gewinne man den Eindruck, „die Musik laufe Bruckner aus dem Steuer, ihr kompositorisches Ich wolle auf alles Kommando verzichten und sich der Dynamik ihres Selbstlaufs anheimgeben.“ Peter Gülke umschreibt mit diesem Satz aus seiner Bruckner-Studie auch, was Sergiu Celibidache so sehr mit Bruckner verband. Der Solobratschist der Münchner Philharmoniker, Helmut Nicolai, bestätigt das, wenn er zu einer Aufführung der Vierten schreibt: „Bei einer unvergeßlichen Aufführung (...) wurde ich mit dem Gefühl der persönlichen Auflösung in Klang beschenkt.“ Bei Bruckner fand der dirigierende Buddha – die Edition enthält zahlreiche Verweise auf Celibidaches Interesse am Buddhismus – die Klangwelt, die seinem Streben am besten entsprach. Er erkannte und weckte in den Schöpfungen des komponierenden Gottesmannes aus St. Florian die Kräfte, die das sinfonische Gewand sprengten. Kräfte, die mit der Musik die Musik überhöhen ins Allumfassende, vom Individuum Gelöste. Was Hanslick als monströs bezeichnete, war für Celibidache ein Weg der Meditation, die auch rauschhaft sein konnte. In einigen Fernseh-Dokumentationen, zum Beispiel derjenigen über die Rumänien-Konzertreise Celibidaches nach Ceausescus Fall, wird deutlich, daß der Dirigent diese Erfahrung der Transzendierung über pingelige, hochemotionale Proben herbeizuführen suchte. Das belegt auch ein Probenmitschnitt in dieser Edition, die im weiteren Aufnahmen der Sinfonien 3 bis 9, sowie das Te Deum und die f-Moll-Messe enthält. Die Konzerte wurden im Gasteig München mitgeschnitten. Bezüglich Aufnahmetechnik und Bandbearbeitung lassen die CDs keine Wünsche offen. Die Tracks mit dem Applaus werden wohl viele überspringen. Meditieren statt erzählen, so ließe sich Celibidaches Motto für Bruckner zusammenfassen. Das wirkt sich aus, zuerst in den Tempi. Celibidache wählt im Vergleich meist die langsamsten. In der siebten Sinfonie, zwei Jahre vor Celibidaches Tod aufgenommen, ist alles zum gigantischen Adagio geworden. Nun verbindet sich dieser Riesen-Atem nicht mit einer flächigen Artikulation, sondern mit einer höchst partiturtreuen Umsetzung, besonders deutlich zu beobachten in kammermusikalischen Stellen. Auch in den dynamischen Stufen erwirkt der Dirigent bei seinem Orchester eine Nuanciertheit wie kein anderer. Ja, Celibidache bräuchte noch mehr Raum, als ihn Bruckner anbietet, zum Beispiel bei den Crescendi im letzten Satz der Fünften oder im „etwas belebend“ des ersten Satzes der Siebten. Der Dirigent setzt ein paar Takte früher an, um noch mehr Raum für das dynamische Wachsen zu gewinnen. Ganz deutlich wird „Celis“ Konzept der Meditation bei der Hinführung auf die („Non-confundar“-)Kulmination des „Adagios“ in der Siebten. Das Orchester agiert nicht, es hört hin. Mit einer unbeschreiblichen Gelassenheit spielen die ersten Violinen anfänglich ihre Sextolen, die sich dann wie von selbst intensivieren. Die Bewegung verselbständigt sich. Die Philharmoniker wirken auch im dreifachen Forte nie forciert, sie können die Musik gleichsam geschehen lassen. Die phänomenale Spielkultur der Philharmoniker erlebt auch in Stücken keine Einbuße, wo mehr Aktivität verlangt wird. Problemlos meistert das Ensemble die schnellen Wechsel im Finale der Fünften, in dem der Dirigent, ausgehend von den Bläsereinwürfen im „Scherzo“ auch sehr derbe Äußerungen zuläßt. Im Mitschnitt dieser Fünften wird besonders deutlich, daß Celibidache bei der Behandlung der Tempi nicht die Konsequenz anwendet, wie sie sich in der gewissenhaften Realisierung der Vortragsbezeichnungen zeigt. Die starken Rubati brechen die Macht der Orchestermaschine, sie wird zu Flexibilität und zum Mithören gezwungen. Wie kunstvoll die Philharmoniker unter diesem Dirigenten ihren Klang zu mischen wußten, zeigt sich auch in der monumentalen Achten, wo zum Beispiel im fülligen Streicher-Crescendo vor der Coda des ersten Satzes alle vier Stimmen durchhörbar bleiben. Der Schluß des Finales bietet dann ein Musterbeispiel für das „differenzierte Fortissimo“, wie es Celibidache einforderte. Die Zackenbewegung der Violinen wird durch das Blech nicht überstrahlt, der Klang hat Struktur. Hier wird mit Über- und Einsicht musiziert. Erstaunlich ist dabei, daß Strukturierung nie Verzettelung meint. Auch ein nicht durchgehend kompakter, langsamer Satz wie das „Adagio“ der Sechsten wirkt immer wie von einem Instrument gespielt. Dieses „Adagio“ bietet zudem ein schönes Beispiel für die fast schon passive Haltung des Orchesters. Es spricht den wehmütigen Gedanken nicht aus, sondern läßt ihn zur Entfaltung kommen. Alles Folgende wird davon imprägniert. Höhepunkt der Edition ist die neunte Sinfonie, ein Jahr vor dem Tod des Dirigenten aufgeführt. Mysteriöser lassen sich die eröffnenden Akkorde im Blech nicht denken. Welch atemberaubende Wirkung hat der Beginn des „Moderato“ im ersten Satz, wenn die Zurücknahme des Pianos ins Pianissimo einmal beachtet wird! Erhält das teilweise stampfende „Scherzo“ bei anderen geradezu faschistoide Züge, lassen ihm die Münchner Interpreten ein menschliches Gesicht. Hier wird der Zuhörer nicht vernichtet; bei Celibidache scheint das zarte Trio in das ganze Stück zu strahlen. Auch das „Adagio“ wirkt wie von den ruhig liegenden Schlußklängen her erfaßt. Celibidaches letztes Wort bei Bruckner war ohne Aggression. Das letzte Wort bezüglich Celibidache und Schallplatte indes dürfte noch nicht gesprochen sein. In den Archiven der Stockholmer und Stuttgarter Rundfunk-Orchester, die Celibidache während langer Jahre dirigiert hatte, liegt noch manche Trouvaille verborgen... Geht man davon aus, daß Celibidaches Beschäftigung mit Bruckner vom Motiv der Ich-Auflösung getragen war, dann bewirkt diese Edition in gewissem Sinn das Gegenteil: Sie schreibt die Maßstäbe der Bruckner-Interpretation für die kommenden Jahrzehnte fest. Weitherum ist weder ein Dirigent noch ein Orchester zu sehen, die Bruckners Sprache derart intelligent strukturieren und derart feinsinnig musizieren könnten. Vielleicht hätte deshalb diese Edition auch Celibidache insgeheim gefreut – er war ja nicht nur Musik-Buddha.

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