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Cage-Nachlese und windsieche Orgelkunst

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Neue CDs mit Neuer Musik, rezensiert von Max Nyffeler
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Einspielungen mit Musik von John Cage.

Die „Sonatas and Interludes“ von John Cage sind viel gespielte, wenn nicht abgespielte Stücke, doch die Aufnahme des vor sieben Jahren verstorbenen James Tenney von 2002 gewinnt ihnen faszinierend neue Seiten ab. Nicht nur durch den üppigen Klangfarbenreichtum der Präparationen, der den Zugriff des Komponisten verrät, sondern in der ganzen Gestik. Mit hartem Anschlag wird an manchen Stellen der Perkussionscharakter zugespitzt, durch die flexible Farbgebung und Artikulation der scheinbar lineare Ablauf in komplexe mehrschichtige Texturen aufgespalten. Indem Tenney die Musik nicht einfach objektivierend herunterspielt, sondern sie durch Phrasierung und Dynamik vielfältig gliedert, werden ihre körperlich-energetischen Qualitäten hörbar. Selten tritt ihr Charakter als Tanzmusik so deutlich hervor. (Hat Hut, hat Art 152)

Für die einen ist Cages Musik strukturelle Anarchie, für die anderen ein Vehikel interpretatorischer Selbstdarstellung, für die dritten ein Symbol innerer Freiheit und Unabhängigkeit. Letzteres ist den Aufnahmen des Pianisten Alexei Lubimov und der Sängerin Natalia Pschenitschnikowa mit Werken von Cage zumeist aus den 1940er Jahren anzuhören. Mit hoher Konzentration horchen sie den subjektiven Resonanzen der oft Satiehaft einfachen Stücke nach; trotz weicher Klangkonturen herrscht makellose musikalische Klarheit vor, selbst in den konsequent durchpedalisierten Stücken. Die Beiden gehören zu jenen Moskauer Musikern, die Cages ersten Besuch in der Sowjetunion 1988 miterlebten. Das lange ersehnte Treffen war für seine russischen Freunde ein Freiheitsversprechen. Etwas von der menschlichen Wärme und Zuneigung, die das Ereignis prägten, hallt in den Aufnahmen nach. (ECM 476 4933)

Und noch eine weitere Cage-CD verdient – über das „Cage-Jahr“ 2012 hinaus – unbedingt Aufmerksamkeit: die Aufnahme der „Music of Changes“, die 1956 im WDR Köln entstand und nun bei Hat Hut Records in guter technischer Qualität erstmals veröffentlicht worden ist. Mit David Tudor als Interpreten kann sie hohe historische Authentizität und Modellcharakter bis heute beanspruchen. Fünf Jahre nach Entstehung des Werks, mit dem Cages Unbestimmtheitsästhetik ihren Anfang nahm, zeigt Tudor hier, welche Explosivkraft in dieser Musik steckt. Die diskontinuierlichen Klangereignisse spielt er mit einer Trennschärfe, die jede Nuance klar hervortreten lässt. Hier herrscht pianistische Hochspannung. (Hat Hut, hat Art 173)

Protagonistin der neuesten Zeitklang-CD mit Werken von sechs Komponisten ist die Orgel von St. Peter in Köln. Der vom Organisten Peter Bares angeregte, 2004 vollendete Umbau macht sie zu einem Instrument mit einer einzigartigen Variabilität des Klangs. Vom gefärbten Windgeräusch über den Glockenklang bei Cages „Carillon Nr. 5“ bis zur Marimba-Pulsation und anderen Schlagzeugeffekten bietet sie alles, was das Avantgardistenohr erfreut. Die konkreten Geräusche vom Tonband in den Stücken von Kagel und Maiguashca sind da nur noch organische Erweiterungen. Allerdings: Ohne den genialen Interpreten Zsigmond Szathmáry, der selbst ein abenteuerlich „windsieches“ Stück beisteuert, wäre das alles nur tote Materie. Er ist der Zauberer, der die Orgelmaschinerie mit Leben erfüllt. (Zeitklang ez-50052) 

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