Neue Musik von und mit Johanna Varner, Harrison Birtwistle, Stephen Siegel, Mauricio Kagel und Howard Skempton
Die hohe Kunst der Einfachheit demonstriert der 1947 geborene Howard Skempton in seinen Miniaturen für Klavier solo und für Stimmen in unterschiedlicher Besetzung. Die meist für John Tilbury geschriebenen, hier von Daniel Becker vorgetragenen Klavierstücke sind angesiedelt zwischen Zurücknahme auf wenige Elemente, verschlüsseltem politischem Statement und historisierend-tonalem Gestus. Die syllabisch angelegten Vokalkompositionen folgen dem Grundsatz schlichter Linearität, die Chorsätze in den „Five Poems of Mary Webb“ beruhen auf fein abgezirkelten Dreiklangfolgen. Das Bekenntnis zu einem unverfremdeten Klangideal verbindet sich mit unangestrengter Konstruktivität und erinnert ein wenig an Arvo Pärt. (Mode Records 226)
Die Aufnahmen von Teilen aus dem „Chorbuch“ (1975/78) von Mauricio Kagel mit dem Nederlands Kamerkoor und von „Les Inventions d’Adolphe Sax“ mit dem Raschèr Saxophonquartett entstanden Ende 2007 und sind eine der letzten Einspielungen, an denen der Komponist persönlich beteiligt war. Der auf Texten von Bach-Chorälen basierende Chor-Zyklus greift auf die Vokaltechniken der Avantgarde-Jahre zurück und setzt sie gezielt zur Ausdrucksschärfung ein. Kagels Auseinandersetzung mit barocker Glaubensintensität und Todesfurcht erhält damit beinahe gespenstische Züge. Mit Grafiken von Ursula Burghardt-Kagel ist das Album attraktiv gestaltet, doch leider enthält es keine gesungenen Texte. (Winter&Winter 910 191-2)
Wer ist Stephen Siegel? Der Komponist, der unter anderem bei Charles Wuorinen und Elliott Carter studierte, wurde 1943 in Alabama geboren und lebt in New York. Auf einer Streicher-CD kann man den bemerkenswerten Einzelgänger nun kennenlernen. Er ist ein expressiver Melodiker und Kontrapunktiker mit einem Sinn für große Formen. Ein üppiges Stimmengeflecht und monothematische Strukturen charakterisieren sein Streichquartett, lineare Intensität das verwandt klingende Stück für Cello solo. Die Ausdrucksvielfalt des Violinsolos „Fire&Fleete&Candlelight“ zeichnet Diane Pascal mit großer Geste nach. Ebenso engagiert musizieren das Wiener ensemble LUX und der Cellist Semyon Fridman. (Spektral SRL 4-08041)
Die „9 Movements for String Quartet“ aus den 1990er-Jahren und das 2007 entstandene Werk „The Tree of Strings“ sind die beiden einzigen originalen Kompositionen für Streichquartett von Harrison Birtwistle. Das Arditti Quartett, das sie uraufführte, hat sie nun zusammen herausgebracht. Mit größtmöglicher Transparenz und messerscharfer Attacke wird in dieser auch technisch hervorragenden Aufnahme die komplexe Mehrschichtigkeit der Musik Birtwistles herausgearbeitet. Obwohl nur gestrichen und gezupft wird und die Musik auf die üblichen Special Effects verzichtet, ist ihr Farbenreichtum enorm. Das Ensemble stößt hier, was die Konkretheit der musiksprachlichen Gestik und die feine Klangkultur angeht, in Bereiche vor, die man von ihm nicht unbedingt erwartet. Eine bessere Interpretation ist kaum denkbar. (aeon AECD 1217)
„Mein Cello und ich“ könnten die 15 kurzen Nummern überschrieben sein, die die Münchner Cellistin Johanna Varner auf ihrer ersten CD veröffentlicht hat. Es sind subjektive, sensibel gezeichnete Klangbilder, jedes Stück mit eigenem Gesicht. Teilweise werden sie durch Playback zu lebhafteren Strukturen verdichtet. Mit improvisatorischer Lockerheit verarbeitet die Cellistin Impressionen von der einsamen Landschaft an der holländischen Küste, und wenn sie dem Instrumentalklang diskret einige Umweltgeräusche beimischt, verschmelzen Innen- und Außenwelt zu Landschaftsbildern von großer Stimmungsdichte. (www.johannavarner.com)