Musik von und mit: Vinko Globokar, palästinensische Komponisten, Aleph Gitarrenquartett, Evan Gardner und Fadi Deep.
Den aktuellen transmedialen Entwicklungen in der Neuen Musik trägt die Edition Zeitgenössische Musik auch darin Rechnung, dass die Neuveröffentlichungen immer häufiger als Hybrid aus Audio und Video erscheinen. So erfreut sich im Portrait von Evan Gardner (*1978) auch das Auge an seiner „Westernoper“ im Mitschnitt aus dem Opera Lab Berlin, dessen Mitbegründer Gardner ist. Seine „Gunfighter Nation“ hinterfragt das nationale Selbstverständnis der USA als schrille Farce, deren Bildlieferant aber nicht allein der Western ist. Wer Kenntnisse amerikanischen Liedguts besitzt, ist hier klar im Vorteil, dennoch funktioniert diese kurzweilige Anspielungs- und Zitat-Revue über amerikanische Mythen auch so als amüsante Collage. Da wird zwischen Cowboy, Superman und sonnenbebrilltem Cop natürlich kein Klischee ausgelassen, manchmal hält diese lockere Folge schräger musikalischer Szenen allerdings auch Momente herzzerreißender Absurdität bereit. Gardner kann aber auch „abstrakt“: Seine Instrumentalstücke präsentieren sich als ephemere („Sonic Voyeur II“) oder energetisch dichte Klangtexturen („Scandinavian Knitting“), deren Farben und Formen unmittelbare Expressivität ausstrahlen. (Wergo; DVD)
Ein Gitarrenquartett ist nicht gerade ein Streichquartett, was die zur Verfügung stehende Literatur betrifft, wird das Klangpotential der akustischen Gitarre traditionell doch kräftig unterschätzt. Diesem Missstand arbeitet das Aleph Gitarrenquartett schon seit über 20 Jahren erfolgreich entgegen. Die jüngste Veröffentlichung beinhaltet (beinahe) durchweg spannende Stücke von Nicolaus A. Huber, Alberto Hortigüela, Irene Galindo Quero und Mathias Spahlinger. Sie machen sich die klangfarblichen und rhythmischen Qualitäten des Instrumentes geist- und erfindungsreich zu Nutze. Das vielschichtigste und poetischste Stück gleich zum Einstieg, wenn Huber uns auf eine Reise durch den Orpheus-Mythos mitnimmt, die trotz sattsam bemühtem Sujet nie langweilt: kaum greifbare Musik-Partikel oder wirr tickende Mechanik, zartestes Saitenspiel oder direkt ins Fleisch schneidende Sforzati beanspruchen Aufmerksamkeit. Auch wenn die instrumentaltheatralischen Elemente – gipfelnd im beherzten Ausspucken von Kaugummis – hier nur bedingt transportierbar sind: ein starkes Stück, dessen Artikulationsreichtum immens ist. (Neos)
Mit einem weitgehend unbekannten Terrain macht die Klavier-Anthologie Musik palästinensischer Komponisten vertraut. Das bedeutet denkbar heterogene Stilistik verschiedenster Generationen und kultureller Zusammenhänge, denn eine spezifische „palästinensische Musik“ gibt es genauso wenig wie eine homogene palästinensische Kultur. Insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbanden sich Aspekte jüdischer und arabischer Musik mit hörbarer Lust am europäischen Neoklassizismus. Aber auch im neuen Jahrtausend ist zwischen romantizistischen Kuriositäten (Amin Nasser) und hochexpressiver Personalsprache (Samir Odeh-Tamimi) alles drin. Fadi Deep spielt diese qualitativ aufreizend divergente Zusammenstellung mit rhythmischer Schärfe und Sinn für das Vertraute im Fremden und umgekehrt. (Gideon Boss)
Den ambivalenten Befindlichkeiten des Exilantendaseins hat sich Vinko Globokar in „Exil 3“ (2014) angenommen. Sein polyglottes Emigranten-Oratorium bemüht eine Vielzahl von Autoren zwischen Ovid und Nelly Sachs und erklingt hier als Live-Mitschnitt aus der Münchner musica viva-Reihe mit dem BR-Symphonieorchester unter Peter Eötvös. Wuchtige, dramatische Chorpartien begegnen hier ebenso wie ein exzentrischer Sopranpart, der meist in nervenaufreibender Höhe stattfindet, auch Globokar selbst tritt als „Improvisator“ an der Posaune in Aktion. Die Rezitationen, die von Bruno Ganz prominent eindringlich interpoliert werden, bilden da willkommene Ruhepunkte. Und am Ende wird es im Chor regelrecht rührselig, wenn das bittere Los der Entfremdung und Einsamkeit im Volkston besungen wird. (Neos)