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Die Gegenwärtigkeit Claudio Monteverdis

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Zum 450. Geburtstag: Eine Umschau unter neueren CDs
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War Monteverdi in den ersten beiden Dritteln des vorigen Jahrhunderts nur eine Angelegenheit für Musikologen oder bestenfalls für Komponisten, die sich an Modernisierungen seiner Bühnenwerke versuchten, begann sich dies in den späten sechziger Jahren radikal zu ändern. Ein Name steht für die bis heute anhaltende Monteverdi-Renaissance: Nikolaus Harnoncourt.

Während er in einer frühen Aufnahme der Marienvesper von 1610 (Jürgen Jürgens, Das Alte Werk 1967) nur als Gambist und Leiter seines Concentus musicus Wien genannt wurde, fungierte er auf der ersten Stereo-Gesamtaufnahme (DAW 1969) der „Favola in Musica“ „L’Orfeo“ von 1607 bereits als Dirigent. Die Besetzungsliste wies naturgemäß Parallelen zu Harnoncourts frühen Bach-Einspielungen auf (Kurt Equiluz, Max van Egmond, Nigel Rogers), bot aber als Messagiera und Speranza keine Geringere als die unvergleichliche Cathy Berberian auf, mit der Harnoncourt noch bei zwei künftigen Monteverdi-Projekten zusammenarbeiten sollte: Sie sang die Ottavia in der „Poppea“, und „La lettera amorosa“ hieß 1975 ihr Soloalbum. Auch der in den siebziger Jahren von keiner Aufnahme „auf Originalinstrumenten“ wegzudenkende Altist Paul Esswood war meistens mit von der Partie, und die heute vergessene Sopranistin Rotraud Hansmann bekam in allen vier Gesamtaufnahmen zentrale Rollen übertragen. Dabei waren die wenigsten, die durch Harnoncourt auf den Musikdramatiker Monteverdi aufmerksam wurden, sich im klaren darüber, dass nur „L’Orfeo“ in Partitur überliefert ist, die beiden Spätwerke „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“ sowie „L’Incoronazione di Poppea“ aber sozusagen bloß als Particell vorliegen, also in Form der Gesangsstimme(n) plus bezifferter Basslinie; zudem stammt noch nicht einmal die ganze Musik von Monteverdi selbst. Folglich muss jeder Dirigent, der eine Aufführung plant, die beiden Stücke erst einrichten, man könnte auch sagen: fertigkomponieren. Aber wenigstens stellte Harnoncourt damals die kompletten Noten, soweit vorhanden, zur Diskussion, wenn auch nicht immer mit stilistisch zueinander passenden Sängern, die es zu diesem Zeitpunkt einfach noch kaum gab. Die Monteverdi-Pioniertaten Harnoncourts liegen seit kurzem in einer preisgünstigen 9-CD-Box bei Warner Classics vor.

Danach hat Harnoncourt die Opern für seinen viel diskutierten, von Jean-Pierre Ponnelle inszenierten Zürcher Bühnenzyklus, der 1981 auch im Fernsehen lief, wieder eingekürzt, aber dafür klang alles schon viel selbstverständlicher. Auf dem Soundtrack der Unitel-Produktionen (Telefunken, z.Z. vergriffen) hört man viele Bühnengeräusche, die auf DVD weniger stören dürften, weil wir ja dort deren Ursache verstehen. Zurzeit ist leider nur „L’Orfeo“ als DVD verfügbar (DG). Der Orpheus-Mythos hat damals übrigens nicht nur Monteverdi inspiriert: Die Geschichte des Musiktheaters beginnt nämlich exakt im Jahre 1600, in dem, einmal abgesehen von der geistlichen Oper „Rappresentatione di Anima e di corpo“ von Emilio de Cavalieri (René Jacobs, Harmonia Mundi), gleich zwei Versionen von „L’Euridice“ (nach demselben Libretto) auf die Bühne kamen: eine von Jacopo Peri und eine von Giulio Caccini. Spätere Versionen stammen unter anderem von Luigi Rossi und Stefano Landi, dessen „La morte d’Orfeo“ die Geschichte von Orpheus nach dem endgültigen Verlust Eurydikes weitererzählt (Tragicomedia, Pan Classics).

Wer sich außer mit der allgegenwärtigen Marienvesper auch mit kleineren geistlichen Werken Monteverdis bis hin zur späten Sammlung „Selva morale e spirituale“ auseinandersetzen will, sei auf die SACDs des glänzend besetzten King’s Consort verwiesen (The Sacred Music 1–4, Hyperion). Auch die Madrigalbücher (neun an der Zahl, das letzte posthum) waren lange eine britische Domäne, genauer: des schon legendären Consort of Musicke, bevor die Muttersprachler das Heft an sich rissen: Die Entwicklung begann vielversprechend mit Rinaldo Alessandrinis Concerto Italiano, dann kam Delitiae Musicae (Naxos), ausschließlich mit Männerstimmen besetzt, von denen eine sich exakt wie der damals so beliebte Zink anhörte. Ausgerechnet das epochale 8. Madrigalbuch „Madrigali Guerrieri et Amorosi“ fehlt jedoch in deren Zyklus. Mit Vollständigkeit glänzt dagegen La Venexiana unter Claudio Cavina, deren preisgünstige 12-CD-Box (Glossa) ich nur wärmstens empfehlen kann; engagierter und zugleich kultivierter wurde dies anspruchsvolle Repertoire wohl nie gesungen, höchstens anders. Parallel dazu gibt es mit „La Compagnia del Madrigale“ eine weitere Formation mit teils denselben Mitwirkenden, die sich die Zeitgenossen, aber auch die Vorgänger Monteverdis vornimmt, so zum Beispiel Luca Marenzio (1553–99), dessen „Quinto Libro di Madrigali“ ebenfalls bei Glossa erschien. Eine weitere Inspirationsquelle für den großen Claudio war Luzzasco Luzzaschi (1545–1607), durch dessen Werk die „Profeti della Quinta“ einen repräsentativen Querschnitt vorgelegt haben (Madrigals, Motets & Instrumental Music, Pan Classics). Als direkter Arbeitskollege des jungen Monteverdi am Hofe von Mantua war wohl auch der Einfluss des Flamen Giaches de Wert (1535–96) prägend. Auf einer CD der Gruppe Odhecaton stehen einige kürzlich wiederaufgefundene geistliche Sätze und die „Missa in illo tempore“, die Monteverdi noch ganz im alten, streng polyphonen Stil vertonte, einigen Motetten de Werts gegenüber (Ricercar). Und wer im weltlichen Bereich den Übergang von eben dieser prima prattica zur allein vom Wort gezeugten, continuobegleiteten seconda prattica erleben möchte, besorge sich gezielt Monteverdis 5. Madrigalbuch, dessen erste Hälfte die klassische Madrigalkunst der Spätrenaissance an ihrem Höhepunkt verkörpert, während sich in der zweiten Hälfte erste musikalische Vorboten von geistlichem Konzert und Kantate finden. Bereits rein solistische Beiträge verschiedener Komponisten – seien es nun raffinierte geistliche Arien oder einfachere Liedformen  – hat die vorzügliche spanische Sopranistin Raquel Andueza auf ihrem Recital „In Paradiso“ um Monteverdis „Lamento della Maddalena“ herumgruppiert, begleitet nur von Jesús Fernández Baena an der Theorbe (Anima e Corpo).

Was an Monteverdis Werkkorpus nach wie vor Rätsel aufgibt, ist die Abwesenheit jeglicher Instrumentalmusik, die doch gerade zu seinen Lebzeiten in Italien ihre erste große Blütezeit erlebte – genannt seien hier als besonders virtuose Beispiele die Lautenstücke von Kapsberger, die Tastenmusik von Frescobaldi, die Violinsoli von Uccelini und die Sonaten für Streicher und/oder Bläser von Castello. Monteverdis erstaunliche, weil uns heute wie damals zu Herzen gehende Musik aber konnte nur anhand einer geeigneten Textvorlage entstehen.   

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