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Die wogenden Cluster des Cecil Taylor

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus Woelfle
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„Der Versuch, von den Jobs mit Cecil zu leben, erweist sich als absolut unmöglich; es gibt einfach keine ökonomische Basis für eine derartige Musik. In Clubs ist sie völlig unverkäuflich, vor allem deswegen, weil jede Komposition eineinhalb Stunden dauert oder jedenfalls dauern könnte. Barbesitzer sind an so etwas nicht interessiert, denn wenn es etwas gibt, was sie hassen, dann sind es Leute, die mit offenem Munde dasitzen und von der Musik völlig in Anspruch genommen werden, Barbesitzer wollen Getränke verkaufen.

Doch wenn Cecil spielt, sagen die Leute dem Kellner allenfalls, dass er gefälligst den Mund halten und still sein soll“, erinnerte sich der vor einem Jahr verstorbene Buell Neidliger. Er war Bassist und zum Teil Leader jener Aufnahmen von 1961 und 1962, die, auf 4 CDs preisgünstig gebündelt, im vergangenen Sommer unter dem Titel „Cecil Taylor: The Complete Nat Hentoff Sessions“ widerveröffentlicht wurden. Einiges noch machte die Musik des Urvaters des Free Jazz neuartig: Sie war weitgehend atonal und dissonant, hochgradig komplex und erforderte einen hohen Grad an Ausdauer und Virtuosität. Gängige Formschemata warf sie über den Haufen und integrierte Errungenschaften der Neuen Musik in den Jazz. In Druck, Dringlichkeit und Drive war sie von der berstenden Intensität einer Naturgewalt. Vor allem ersetzte sie, um mit Ekkehard Jost zu sprechen, Swing durch Energie.

Wer nur den späten Taylor mit seinen wogenden Clustern und Eruptionen im freien Tempo kennt, den werden diese frühen Aufnahmen erstaunen. Sie zeigen, dass Taylor bis 1961 bei den Begleitern an einem swingenden Bass-Schlagzeug-Fundament festhielt. Das hat seine Reize, obgleich es zu seinem Spiel im Rückblick anachronistisch anmutet. Damals konnte dies kaum anders sein und mag Swingern und Fingerschnippern eine Brücke zu seiner damals unerhörten Spielweise gebaut haben. Auf den Bonustracks, ursprünglich auf Gil Evans‘ „Into The Hot“ veröffentlicht, ist der vergleichsweise traditionelle Dennis Charles durch den innovativeren Sunny Murray ersetzt.

Jahrelang schlug sich der junge Taylor mit Jobs in Berufen wie Tellerwäscher und Schallplattenverkäufer herum. Es heißt, er habe ein Jahr lang täglich geprobt für einen einzigen Auftritt. Die Belege für seine Arbeitsbesessenheit haben wir hier: Von „Air“ nahm er 29 (!) Takes auf, von denen man hier immerhin fünf hören kann. Für den jungen wilden Tenoristen Archie Shepp war das Stück eine derartige Herausforderung, dass er nach Hause geschickt wurde um es zu üben. Als weiteren Bonustrack findet man hier sogar noch den Mitschnitt von Taylors Auftritt in Newport 1957. (Essential Jazz Classics)

Acht Stunden Üben und ausgedehnte Meditation gehörten zum Alltag des Workaholics. Erklärt dies die unfassbare, von kaum einem Pianisten je erreichte Intensität, die Taylor in langen Konzerten durchhielt? Er selbst sprach von „magischer Erhebung in einen Zustand der Trance“. Und „Trance“ heißt auch das Eröffnungsstück des Doppel-Silberlings „Complete Live At The Cafe Montmartre“. Diese Live-Aufnahmen von 1962 gelten schon lange als Meilenstein und Wendepunkt. Hier verzichtete er auf den Bass und Sunny Murray entwickelte was Taylor brauchte: wohl als erster Drummer eine vom Metrum weitgehend unabhängige Spielweise. Dritter im Bunde war der Altist Jimmy Lyons, der die Quadratur des Kreises schaffte: Stark von Charlie Parker geprägt zu bleiben und doch für Jahrzehnte zum kongenialen Konterpart Taylors zu werden. Als Zugabe gibt es drei Stücke, die bei dieser Tournee im „Gyllene Cirkeln“ in Stockholm entstanden (allerdings nicht, wie behauptet wird, hier erstmals auf CD erschienen.) Die Aufnahmequalität ist mäßig, doch bieten sie durch die Mitwirkung des Bassisten Kurt Lindstrom Vergleichsmöglichkeiten. Danach musste Taylor drei Jahre auf die nächste Plattenaufnahme warten. Kassengift eben. Beide CD-Editionen sind preiswert, aber nicht untadelig. So erfährt man nicht, welcher der Takes der Mastertake war. Die neuen Begleittexte zu beiden Produktionen sind nahezu identisch, obgleich mit unterschiedlichen Namen gezeichnet. Immerhin sind die originalen Liner Notes dabei. (Essential Jazz Classics).

Im März wäre Taylor 90 Jahre alt geworden – willkommener Anlass diese Meisterwerke (wieder) zu entdecken. 

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