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Catherine Lamb war eine der Siemens-Förderpreisträgerinnen 2020 und ihr Porträt in der hauseigenen CD-Reihe konzentriert sich auf ganze zwei Kompositionen. Die aber haben es in sich.
Catherine Lamb war eine der Siemens-Förderpreisträgerinnen 2020 und ihr Porträt in der hauseigenen CD-Reihe konzentriert sich auf ganze zwei Kompositionen. Die aber haben es in sich.
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Drinnen und Draußen

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Martin Tchiba, als zeitgenössischer Pianist ein Begriff, überrascht in seiner zweiten Veröffentlichung auf dem eigenen Label emt mit elektroakustischen Kompositionen! +++ Catherine Lamb war eine der Siemens-Förderpreisträgerinnen 2020 und ihr Porträt in der hauseigenen CD-Reihe konzentriert sich auf ganze zwei Kompositionen. +++ Aktuell im Portrait der Edition Zeitgenössische Musik: Matthias Krüger.

Martin Tchiba, als zeitgenössischer Pianist ein Begriff, überrascht in seiner zweiten Veröffentlichung auf dem eigenen Label emt mit elektroakustischen Kompositionen! Er hat die pandemischen Jahre genutzt, um „Klänge, Dinge, Orte, die 2020 und 2021 wichtig waren“, zu einer vielgestaltigen „klang collection“ zu destillieren – eine „musikalische Aufarbeitung der Corona-Zeit“ in drei Abteilungen: „places“–„dedications“–„images“. Die Einzelstücke dieser 24-teiligen Kollektion sind aber keine Sound-Ware von der Stange, weder aus akusmatischer noch aus minimalistischer Perspektive. Oft nehmen sie (naheliegenderweise) ihren Ausgang im Klavierklang, der hier mikrotonal verbeult, strukturell zerrissen oder hybrid erweitert wird. Öfter jedoch lässt sich keine analoge Quelle mehr erkennen in dieser spannenden Melange aus transformierten Instrumentalklängen, synthetischen Sounds und Field Recordings, die teils improvisatorische Verdichtungen des Augenblicks sind, teils mit Bedacht konstruierte Gebilde ganz unterschiedlichen Charakters. Manchmal tauchen im Glitch flackernder Geräuschflächen melodische Einsprengsel auf (oder umgekehrt); manchmal überraschen perkussive Pulse, die ansonsten leere Räumen strukturieren. Regelmäßig leiten uns Spuren von Wirklichkeit auf scheinbar eindeutigere Fährten: urbane Geräusche, Vogelstimmen, Tastaturgeklimper, fernes Klavier­üben. Melancholie eines lahmgelegten Alltags. Aber was heißt das schon, Wirklichkeit? Der Inhalt dieser hybriden Hörfilme muss vom Hörer selbst immer wieder neu austariert werden. Ein großes Plus dieser Kompilation: Ihre Unvorhersehbarkeit. „Sounds einer beklemmenden, aber nicht verlorenen Zeit“ (Tchiba), die aber bei aller impliziten Isolation und Melancholie eines nie sind – langweilig. „the inside (outside)“ heißt ein Stück aus „places“ und das könnte auch ein schönes Motto für die gesamte Produktion abgeben. (emt)

Catherine Lamb war eine der Siemens-Förderpreisträgerinnen 2020 und ihr Porträt in der hauseigenen CD-Reihe konzentriert sich auf ganze zwei Kompositionen. Die aber haben es in sich. Strukturelle Konsequenz und zeitliche Dimensionen von Lambs Streichquartetten, die das JACK Quartett hier mit ganz feiner Nadel strickt, sind bemerkenswert: Lambs „string quartet (two blooms)“ von 2009 kommt einem Extremzustand musikalischer Regungslosigkeit gleich. Nach circa acht Minuten wird der Ton C verlassen. Lambs kontinuierlicher Klangstrom entwickelt in seinen fluoreszierenden Oberflächen und irisierenden Konsistenzen jedoch einen Reichtum des Klingenden, der Erfahrungen des Hörens vermittelt, die herkömmliche Zeitwahrnehmungen von Musik außer Kraft setzen. Er wurde inspiriert von den Ideen ihres Lehrers James Tenney genauso wie von der Elektro-Pionierin Élaine Radigue. Deutlich vielfarbiger präsentiert sich das mikrotonal vibrierende „divisio spiralis“ (2019), dessen Klangräume aus spiralförmigen Bewegungsenergien erwachsen, in denen sich geheime Melodien verbergen.  (Kairos)

Aktuell im Portrait der Edition Zeitgenössische Musik: Matthias Krüger. Er verbindet Elektronik und Instrumentalkomposition zu einer angenehm undomestizierten Mischung, in der Material aus Pop, Kunst, Literatur und Neuer Musik folgenreich zusammentreffen. Ein wahres Kraftwerk an Energie ist „le vide à perdre“ (2016/19), triebhafter Klangraum in schreienden Farben, eindrucksvoll realisiert vom Ensemble Ascolta. Die Besetzung ist bezeichnend: präparierte Trompete und Posaune, Drumset, Große Trommel, Synthesizer, E-Gitarre, E-Violoncello und Live-Elektronik. Das Stück geht zurück auf Krügers Techno-Erfahrungen, aber einen Beat wird man trotz Einbeziehung diverser Club-Tracks vergeblich suchen. Stattdessen herrscht totale Auflösung und Verpixelung akustischer und struktureller Identitäten. Noch bombastischer dimensioniert ist das Orchesterstück „Bellygoat Boom (substrate)“, 2019 als Auftragswerk des WDR entstanden, in dem Versatzstücke aus Mahlers 4. Sinfonie ebenso zum Einsatz kommen wie U2 und Moby. Das beginnt im schwerfälligen Ächzen und Schleifen weniger Klangbausteine und endet in einem katastrophischen Mahler-Taumel. (Wergo)

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