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„Violinkonzert Nr. 1 von Isang Yun.
„Violinkonzert Nr. 1 von Isang Yun.
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Europa und Asien

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Neuerscheinungen neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Ausfnahmen mit Musik von Helmut Lachenmann, Nikolaus Brass, Isang Yun und Xiaoyong Chen.

Man lasse sich nicht verunsichern von klischeelastigen Titeln wie „Wandering Illusion“ oder „Imaginative Reflections“ – die Stücke von Xiaoyong Chen sind völlig frei von esoterischen Flachheiten. Der chinesische Komponist war einer der letzten Schüler György Ligetis und lehrt heute selbst an der HfMT Hamburg. Seine Kammermusik basiert auf farblich irisierenden Flächen, in die geschliffene Intarsien eingearbeitet sind. Chen geht dabei auch im (größtenteils) europäischen Instrumentarium von einer genuin asiatischen Auffassung des Einzeltons aus und so wird hier unentwegt an der Oberfläche gefeilt und in die Tiefe gebohrt, oft ausgehend von elementaren Impulsen im Klavier – konzentrierte Klangerkundungen, fokussiert auf  Wesentliches. Mikrotonalität spielt da naturgemäß eine wichtige Rolle und wird im „Diary V“ für Vierteltonklavier (2013) mit durchgedrücktem Pedal zu dichten Resonanzwolken gestaucht. (col legno)

Einer der großen Pioniere kompositorischer Brückenschläge zwischen Asien und Europa war Isang Yun, den man in den letzten Jahren leider auch zu den großen Vergessenen zählen muss. Dass sich das Wiederentdecken lohnt, zeigte „Yun 100“ beim Musikfest Berlin und unterstreicht vorliegendes „Violinkonzert Nr. 1“ (1981) in einer WDR-Aufnahme von 1984 mit dem Kölner Rundfunksinfonieorchester. Der zeittypische Rekurs auf klassisch-romantische Ausdruckstraditionen führte bei Yun zu ganz eigenwilligen Verschmelzungen mit Prinzipien taoistischer Philosophie. Dramatischer Kontrast und elegischer Ton stehen im Vordergrund des bekenntnishaften Werks und Hansheinz Schneeberger verpasst dem unsteten Schicksal seines lyrischen Geigen-Ichs die passende Ambivalenz von europäischer Expressivität und asiatischen Klangvorstellungen, mit gleißender Virtuosität im Schlusssatz. Das Orchester meistert die (auch im Spätwerk noch enorme) Fülle des Yun’schen Klangraumes farbintensiv und energiegeladen. (Ambiente)

Jan Philip Schulze hat mit kristalliner Schärfe Nikolaus Brass’ komplettes Klavierwerk eingespielt, darunter so manches Kleinod kompositorischer Introvertiertheit. Die „Stücke für leere Hände – 11 Benediktionen“ (2011) beinhalten nur Splitter musikalischer Gestalten in losen Zusammenhängen, ein Mosaik aus flüchtigen Klang-Zeichen. Kein Wort zu viel auch in den raumgreifenden „Dialoghi d’amore V“ (2010/11), kompositorische Kalligrafie, die ihren Vortragsanweisungen alle Ehre macht: „intim-sublim-schwebend“. „VOID“ (1999) hingegen reflektiert Momente von Stillstand und Leere mit trübe schimmernder Chromatik und trägen Akkordrepetitionen, als wäre Morton Feldman zu Besuch. (Neos)

Helmut Lachenmann hat in jüngster Zeit vor allem mit seinem „Marche fatale“ für Gesprächsstoff gesorgt (an dem das Fatalste eigentlich die bürgerlichen Konzertsaal-Pointen sind), größeren Eindruck hinterlassen nach wie vor frische Aufnahmen seiner älteren Werke. Die Wergo-Veröffentlichung versammelt in exzellenter Wiedergabe Kompositionen, die für völlig verschiedene kompositorische Ideen einstehen, etwa das frühe „Streichtrio“ von 1965. Expressiv und gestenreich ist das Trio Recherche mit Lachenmann auf der Suche nach einem Ausweg aus den Zwängen der seriellen Musik. Ganz anders das Klavierstück „Serynade“ (1997/98), das auf der Spannung von Anschlag und Resonanz diverser Clus­tergebilde und deren minutiöse Filterungen beruht. Eine immens skulpturale Musik, wo Yukiko Sugawara wie aus einem großen Klangblock immer neue Farben und Formen herausmeißelt, zügiger als in älteren Aufnahmen, aber immer noch mit bemerkenswerter Wucht. „Got Lost“ über Textfragmente von Nietzsche, Pessoa und einem Hausflur-Zettel, ist eine der wenigen Vokalkompositionen Lachenmanns und erscheint hier als expressiv verspieltes ‚Melodram‘, das zwischen Geräusch und  Ton, Laut und Gesang alle vokalen Register zieht – Yuko Kakuta (Sopran) und Yukiko Sugawara (Klavier) verstehen sich dabei blendend.  (Wergo) 

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