Horst H. Lange, Joachim Ernst Behrendt und Dietrich Schulz-Köhn: Das waren etwa seit Mitte der 30er-Jahre die maßgeblichen Jazzproduzenten und -publizisten in Deutschland. Der am 28. Dezember 1912 in Sonneberg, Thüringen, geborene Dietrich Schulz-Köhn nimmt in der eingangs erwähnten Jazztrias einen besonderen Platz ein. Fällt sein Name, dann taucht er in der Regel in einem Atemzug mit den berühmten „Mitteilungen“ auf.
Horst H. Lange, Joachim Ernst Behrendt und Dietrich Schulz-Köhn: Das waren etwa seit Mitte der 30er-Jahre die maßgeblichen Jazzproduzenten und -publizisten in Deutschland. Der am 28. Dezember 1912 in Sonneberg, Thüringen, geborene Dietrich Schulz-Köhn nimmt in der eingangs erwähnten Jazztrias einen besonderen Platz ein. Fällt sein Name, dann taucht er in der Regel in einem Atemzug mit den berühmten „Mitteilungen“ auf. Die Mitteilungen sind ein faszinierendes Kapitel der Jazzrezeption im Dritten Reich: verbotene Fanpostille, geheimes Rundschreiben und mit militärischer Präzision organisierter Jazznachrichtendienst. Neben Hans Blüthner und Gerd P. Pick war der Oberleutnant der Luftwaffe Mitglied der Redaktion dieser ersten deutschen Jazzzeitung, die nicht in Ausgaben, sondern in Form von Rundbriefen im Zeitraum von März bis Oktober 1943 entstand. Mit der Gründung der „Mitteilungen“ bewies Schulz-Köhn Courage: „Die Initiatoren waren vor allen Dingen Gerd Peter Pick und Hans Blüthner. Ich war sozusagen ihr Zulieferant, weil ich ziemlich viel herumkam und auch weil ich die Sprachkenntnisse hatte, also in Frankreich, Belgien, und auch Verbindungen nach Schweden hatte.“ (1)Gleichzeitig war Schulz-Köhn aber auch wegen seiner unkritischen, eher affirmativen Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime unter seinen Mitstreitern und Jazzfreunden nicht unumstritten. Während „Mitteilungs“-Redakteur Blüthner der Auffassung war: „Wer sich für Jazz interessiert, der kann kein Nazi sein“(2), relativierte dies ein anderer Zeitzeuge, Hans-Otto Jungs: „Er war der einzige in unserem kleinen Kreis von Jazzfans, der nicht wahrhaben wollte, was in Deutschland passierte. Er verhielt sich wie ein Anti-Nazi, aber wenn du mit ihm sprachst... nun, es war schizophren.“(3) Schulz-Köhns Einsatz für den Jazz war nicht erst während des Dritten Reiches entstanden, Jazz zog sich durch sein gesamtes Leben. Geboren am 28. Dezember 1912 im Sonneberg, lernte er als Kind zunächst Geige, später dann Klavier. Bereits auf dem Gymnasium in Magdeburg spielte er Schlagzeug und Posaune in einer Schüler-Combo. Nach dem Abitur 1932 kaufte er sich ein Koffergrammophon und legte mit vier Jazzplatten, darunter zwei von Duke Ellington, den Grundstock zu einer bedeutenden Sammlung, für die sich allerdings zu seinen Lebzeiten keine deutsche Institution interessierte und die deshalb heute im Archiv der Universität Graz beheimatet ist. Schulz-Köhn studierte in Freiburg, Frankfurt, Königsberg und an der University Exeter in England Musik, Sprachen und Volkswirtschaft und schrieb seine Dissertation über die „Die Schallplatte auf dem Weltmarkt“. Während der Zeit in Frankfurt studierte er am Hoch’schen Konservatorium in der – damals in Deutschland einzigen – Jazz-Klasse von Matyas Seiber. In London hörte er die ersten Jazzkünstler persönlich: Louis Armstrong und Duke Ellington.
Bereits in den 30er-Jahren bewirkte Schulz-Köhn vieles: 1934 gründete er den ersten deutschen „Swing Club“ in Königsberg. Er war Mitarbeiter bei vielen Schallplattenfirmen, beispiels- weise gestaltete er ab 1935 verantwortlich für die Deutsche Grammophon-Gesellschaft den gesamten Brunswick-Katalog. Er war damit verantwortlich für die Herausgabe der besten Hot-Jazz Aufnahmen der zwanziger Jahre mit Chick Webb, Teddy Wilson, King Oliver, Duke Ellington, Fletcher Henderson, Benny Carter, The Dorsey Brothers und Louis Proma. Das tat er in Form von Spezialkopplungen in zwei oder drei Alben à sechs Platten. Später ging er zu Telefunken und machte dort Ähnliches: Er war unter anderem dafür zuständig, dass die bekanntesten belgischen Tanzorchester wie Fud Candrix und Stan Brenders verpflichtet worden sind. Am Krieg nahm Schulz-Köhn aktiv teil, zuletzt im Rang eines Oberleutnants der Luftwaffe. Seine Jazzaktivitäten behinderte das wenig, im Gegenteil, sie weiteten sich aus. Bereits seit 1935 Mitglied im Hot Club de France (HCF) und befreundet mit dem HCF-Gründer und Mentor Charles Delaunay, lernte Schulz-Köhn während des Krieges durch seine Aufenthalte in Paris und in Brüssel, in Holland und in Schweden die jeweiligen Szenen noch genauer kennen. Als deutscher Offizier spielte er dabei stets eine Doppelrolle: Zum einen war er aktiver Offizier, zum anderen muss ihm sehr wohl bewusst gewesen sein, dass Delaunay nach 1942 den HCF als Tarnung für die Resistance benutzte. Nach 1945 war er – neben Joachim Ernst Behrendt und Horst H. Lange – einer der Autoren und Journalisten, die das Ansehen der Swing- und Jazzmusik in Deutschland entscheidend förderten. Er war ungeheuer aktiv und hielt zahlreiche Vorträge über Jazz, neben der Dozentenstelle an der Musikhochschule Köln war er in den letzten Jahren auch Honorarprofessor an der FU Berlin und hielt dort eigene Seminare zum Thema Jazz. Im Winter 1949/50 gehörte Schulz-Köhn, damals bereits Gründer des Hot Clubs Düsseldorf, zusammen mit Dieter Zimmerle, Olaf Hudtwalcker und Horst Lippmann zu den Initiatoren der Deutschen Jazzföderation, einer Vereinigung von „Musikfreunden“ nach dem Vorbild des HCF, des Hot Club de France.
Sprach man jedoch von Dr. Jazz, dann war eigentlich der Rundfunkmoderator gemeint: Schulz-Köhn moderierte bald nach dem Krieg eigene Radiosendungen in Hamburg, später dann beim WDR in Köln sowie beim Deutschlandradio und vielen anderen Rundfunkanstalten. Beim Westdeutschen Rundfunk moderierte er regelmäßig die Sendung „Rauhe Rille“, die erst mit seinem Tod im Jahr 1999 beendet wurde.
„Dr Jazz Collection“ bei Jube
1993 – Schulz-Köhn war damals bereits 81 – bat ihn ein junger Autor, Jens-Uwe Völmecke um ein Interview. Wie Dr. Jazz arbeitete auch er als Autor für den WDR und benötigte O-Töne für seine Sendungen über den Swing und die Tanzmusik der 30er-, 40er- und 50er-Jahre, über die Swinging Ballrooms in Berlin, Paris und Brüssel. Es stellte sich schnell heraus, dass sich hier zwei Gleichgesinnte getroffen hatten, zwei Liebhaber des Hot Jazz, aber auch der europäischen Tanz- und Unterhaltungsorchester aus der Swing-Epoche. Die Zeit, die Völmecke und Dr. Jazz noch hatten, war kurz bemessen: 1995 erkrankte Schulz-Köhn schwer und erholte sich bis zu seinem Tode am 7. Dezember 1999 nicht mehr.
Doch die kurze Inkubationszeit hatte genügt: Dr. Jazz hatte Dr. Völmecke mit seinem Hot-Jazz-Virus angesteckt. So verwundert es nicht, wenn Völmecke in sein 1997 gegründetes Label JUBE auch eine Serie unter dem Titel „Dr. Jazz Collection“ aufnahm. Es ist eine Reihe „im Geiste von Schulz-Köhn“, so der CD-Produzent. Zwei klanglich hervorragend restaurierte CDs liegen bisher vor: „Place de Brouckère“ mit Swing und Hot aus Belgien und Holland (1939 bis 1945) und „Swing im besetzten Paris (1940 bis 1943)“.
Anmerkungen 1, 2 und 3: aus: Bernd Hoffmann „Die Mitteilungen – Anmerkungen zu einer verbotenen Fanpostille“ in: Jazz in Deutschland, S. 94f., Jazzinstitut Darmstadt 1996).
Auswahldiskografie
Die ersten beiden CDs aus der „Dr. Jazz Collection“ mit bisher unveröffentlichtem Bildmaterial aus dem Archiv von „Dr. Jazz“, Dietrich Schulz-Köhn.
Place de Brouckère. Swing und Hot aus Belgien und Holland (1939 bis 1945) CD Nr.: JUBE 1800/Bear Family
Swing im besetzten Paris (1940 bis 1943) CD Nr.: JUBE 1801/Bear Family