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Im Grenzbereich von Improvisation und Komposition bewegt sich das Projekt „Two Step“ von Oboistin Cathy Milliken
Im Grenzbereich von Improvisation und Komposition bewegt sich das Projekt „Two Step“ von Oboistin Cathy Milliken
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Folien des Konkreten

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Neue Musik von Liza Lim, Cathy Milliken und Michel Roth.

Im Angesicht der düsteren Weltlage nehmen auch die dystopischen Aspekte und Inhalte zeitgenössischer Komposition zu. In „Extinction Events and Dawn Chorus“ (2018) von Liza Lim haben Umweltzerstörung, Artensterben und Klimawandel schon deutliche Spuren hinterlassen. Im Kopfsatz „Anthropogenic Debris“ drehen sich die Plastikmüllstrudel der Weltmeere in wirbelnden Instrumentaltexturen, die mit symbolträchtigen Anspielungen an Verloschenes bestückt sind, wie etwa dem Ruf eines ausgestorbenen australischen Vogels oder verzerrtem Material aus Janáceks „On an Overgrown Path“. Im finalen „Dawn Chorus“ verdanken sich die klanglich exzeptionellen Ereignisse den „Sounds“ von Fischschwärmen in einem Korallenriff. Ein mystisches und zugleich gespenstisch skelettiertes Raunen, als würden hier die Elemente selbst sprechen, aber nicht mehr wirklich von/auf dieser Welt sein. Der expressive Reichtum von Lims Musik, wo verschiedenste Materialen, Motive und Idiome explosiv durcheinanderwirbeln, wo Melodisches, Mikrotonales und Geräuschhaftes sich zu einer zerklüfteten Klangtopografie fügt, begegnet schon in „Songs Found in Dream“ (2005). Was vom Titel her nach betulichem Rekurs auf „Songlines“ und Aborigines-Kultur anmutet, entpuppt sich als unberechenbare Ensemble-Partitur in schreienden, grellen Farben. Deren Dynamik wird vom Klangforum Wien nicht minder beeindruckend transportiert wie in den aktuellen „Extinction Events“. (Kairos)

Im Grenzbereich von Improvisation und Komposition bewegt sich das Projekt „Two Step“ von Oboistin Cathy Milliken. Sie hat dazu ein Dutzend Musiker-Freunde eingeladen, um in einem „ersten Schritt“ mit auskomponierten oder improvisierten Duos (gelegentlich auch Trios) ein Materialreservoir zu schaffen, das anschließend von der Komponistin Milliken in eine konzisere Klangdramaturgie gebracht wurde. Dass die Musiker*innen dabei aus den unterschiedlichsten musikalischen Kontexten kommen hat dieser Klangreise in 38 Stationen nicht geschadet und so findet auch außereuropäisches Instrumentarium profunde Verwendung. Wenn die armenische Kurzoboe Duduk (Sören Birke) sich mit Millikens Oboenspiel elegisch vernetzt, William Bartons Didgeridoo auf Field Recordings von Karen Power trifft oder eine Sheng (der unvermeidliche Wu Wei) sich mit gestrichener Perkussion von Robyn Schulkowsky zu hochfrequent vibrierenden Klanggeflechten vereint, ist das von der schalen Vordergründigkeit so manch ausgewiesener „Weltmusik“ meilenweit entfernt. Dazu sind die Beteiligen – zumeist wie Milliken selbst der Spezies Composer-Performer angehörig – einfach zu reflektiert unterwegs. Der rote Faden, der diese in Berlin, Brisbane und Tel Aviv geführten Zwiesprachen zusammenhält, sind lyrische Loops aus den „Tender Buttons“ von Gertrude Stein, deren reduktive Wort-Bilder sich gesungen oder gesprochen wie eine Folie des Konkreten über die Klänge legen. Leider erschwert eine divergierende Track-Einteilung von Booklet und CD die Orientierung bei den zahlreichen Miniaturen. (Tall Poppies Records)

Franz Kafkas Erzählung „Der Bau“ bildete die Vorlage für das Monodram „Im Bau“ des Schweizer Komponisten Michel Roth. Seine 15 Klangräume erscheinen hier als „radiophone Fassung“ einer ursprünglichen Bühnenadaption für das Lucerne Festival, die nun einem klaustrophobischen Hörtheater über den Rückzug in eine neurotische Innenwelt gleichkommt. Roth hat dazu eine flüchtige Instrumentaltextur (Oboe, Violoncello und Klavier) mit elektronischen Einsprengseln entworfen, die den selbstreferentiellen Monolog des Mezzosoprans mit labyrinthischer Intimität anreichert. Der Zwiespalt von Angst und Geborgenheit wird hier in vielschichtigen Klangprojektionen fühlbar, die die Außenwände dieser Innenwelt immer neu abklopfen und sich dabei erbarmunglos im Kreis drehen. „Der Bau“ lebt aber vor allem von der Präzision und Wandlungsfähigkeit der Stimme von Anne-May Krüger, die uns in immer neuen Deklamationsvarianten durch ihren Ich-Kerker führt, der in Corona-Zeiten eine unerwartete Tragweite bekommen hat. (Wergo)

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