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Generationenkontraste in großen Formationen

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Jazz-Neuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
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Unterschiede können verbinden, indem Zuneigung und Respekt wechselseitige Annäherung zulassen. So hat Klarinettist Oliver Leicht für seine „Acht“ den renommierten Jazzse­nior Jim McNeely (unter anderem Vanguard und hr-Bigband) angeheuert. Dessen Klavierfremdfarbe gibt dem von tiefen Brass-Registern dominierten Ensemble pikante Nuancen, womit der aktuelle Titel „State Of Things“ (Float Music 012) in einem Bass-Vamp, Electronics und kompakten Akkordblöcken per perkussivem Anschlag zum Swing getrieben wird. Polyphonie und rhythmische Wendungen des Repertoires erhalten dadurch eine deutlichere Stringenz.

Für Komponist und Arrangeur Vince Mendoza sind Aufnahmen einiger brandneuer Songs mit der WDR Big Band Köln gar ein „Homecoming“ (Jazzline 77036) in dem Sinn, dass ein wunderbares melodisches Thema angeschoben und dann von Karolina Strassmayer (as) und John Marshall (tp) ausformuliert wird. Fusion und Samba mit versetzten Riff- und Rhythmusstrukturen sind hier weitere Favoriten, bei denen Vertrautes und punktuell neugierige Klangspähungen eine besondere Signatur ergeben.

Ähnlich, aber mehr auf Funk- und Rock-Grooves konzentriert, sucht Ingolf Burkhardt & Jazul in Koopera­tion mit der NDR Bigband (dort dienstältester Trompeter) „Conquests“ (o-tone music 011-2) in Erinnerung an Crusaders-Hits wie „Put It Where You Want It“ (um 1972), den er superb im hohen Diskant startet und dann pan­energisch auflädt. Durch seine kernigen Soli und den Enthusiasmus der Musiker werden alle riskanten Manöver bestens überstanden.

Biografisch denkt US-Saxophonist Patrick Cornelius an „While We’re Still Young“ (Whirlwind 4682) und zwar persönlich und auch mit Blick auf seine Kinder als sie noch „Sand Between The Toes“ hatten, ein schräger Choral in ungeradem Metrum. Sein Stil fürs Oktett ist nicht sentimental, sondern entsteht aus produktiven Mingus-Entlehnungen, wenn der bullige Blues von „Jonathan Jo“ durch markante Zäsuren gebändigt wird oder New-Orleans-Atmosphäre die „Invaders“ prägt, narrative Kennzeichen, die oft durch freie Rhythmen und manchmal scharfkantige Harmonik gelockert werden.

Anders erzählen Komponist und Schlagzeuger Reinhold Schmölzer & Orchest.ra.conteur (nomen est omen), nämlich eher impressionistisch vom flüchtigen Bild „Aerial Image“ (Unit 4719), dessen Konturen sich in geschmeidigen Übergängen von pulsierender Perkussion über ein Legato-Motiv zu Minimal-Staccatos zeigen. Exzeptionell ist hier vor allem die Kombination von Kaleb Erdmanns selbstkritischer und superb gereimter Slam Poetry mit der Tendenz zur Ego-Demontage und krude kommentierendem Ensemble, wobei Sprache und Musik ästhetisch aneinander kenntlich werden.

Solche provokanten Konfrontationen wagt das Barmesreiter Schwartz Orchestra nicht, sondern präsentiert ein feminines Vokalquartett in changierenden Couleurs einer „Metamorphosis“ (OKeh 88985386652), die wie ein Cartoon per raffinierter Stimmführung Free Jazz über ein Klavier-Ostinato zum Swing führt.

Eigentlich unvereinbare avantgardistische und konventionelle Sounds werden so modifiziert, dass sie eine integrative Funktion bekommen. Die junge Jazzgeneration meidet die Geschichte nicht, sondern nähert sich ihr paradox mit zuvor ungehörten Klängen. 

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