Musikrezeption ist in Echtzeit und auch diskografisch mehrdimensional orientiert. Sind erklärende Begleittexte und Illustrationen schon lange Usus, so haben sich darüber hinaus Konzepte gewandelt.
Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat etwa mit dem Regisseur Peter Sellars für ihre beiden Kurzopern „Only The Sound Remains“ die Sujets dem japanischen No-Theater entlehnt. Indem vor halb-transparentem Bühnenvorhang mit archaischen Mustern der Mönch Gyôkei im Palast einen Gottesdienst zelebriert, um den verstorbenen Lautenisten Tsunemasa als Geist zurückzuholen, entwickelt sich ein Dialog aus Angst und Erwartung, bis sich beide in einem magischen Moment küssen. Vergeblich. Der Geist entschwindet. In einer raffinierten Schatten-Licht-Projektion simultan zur minimalen Handlung entstehen durch die filigrane Musik ohne Eile gespannte Dramen. (DVD Erato)
Mehr Elemente, nämlich Vokalpartien, Kammerensemble, Rock- und Jazzband hat Helmut Oehring zur komplexen multimedialen Collage „Angelus Novus II“ im Gedenken an die Flucht vor Nazi-Verfolgung und den Selbstmord des Philosophen Walter Benjamin inszeniert. Auch ohne Kulisse ist die Musik plastisch, denn deren Gestaltung konturiert durch einprägsame Wechsel von Klang- / Geräusch-Mischungen, Groove und Improvisation und vor allem dynamische Kontraste die existenzielle Not. (Neos) Mit weniger äußerem Aufwand können vieldeutige Binnenstrukturen die Wahrnehmung von scheinbar vertrauten Klängen verändern. Par excellence loten das Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel diese Möglichkeit beim „Hollywood Songbook“ aus, das Hanns Eisler im Exil komponierte. Auch wenn die Notentexte original blieben und es somit kein Jazz im puristischen Sinn wird, so sind doch entsprechende idiomatische Attitüden bemerkbar. Denn oft schmuggeln die Instrumentalisten in die variabel-expressiven Rezitative des Sängers Michael Schiefel improvisierte Passagen. (Traumton)
Umgekehrt wird Jazz durch Notation straffer, wenn Jan Schreiner die Formen für sein Large Ensemble in Schüben konturiert. Deshalb ist „You Better Look Twice“ angesagt, um die einzelnen Phasen zu erkennen, die knorrig aus tiefen Register des Bassposaunisten sprießen, sich sukzessive mit Diskant-Timbres der Flöten und anderen Instrumenten verbinden und dann zu elegantem Swing gleiten. Solche Klangprozesse organisiert Jan Schreiner souverän in organischen Zusammenhängen und gibt damit dem Bigband-Format vital-kreative Spannung. (Float Music)
Eine weitere Option ist die Programmgestaltung, wie eine junge Garde der Besetzung Bläserquintett, genannt Variation 5, zeigt. Sie betrachtet ihre Auswahl nicht unter dem Aspekt Bewährtes bewahren, sondern Esprit entdecken. Mit scharfem Blick, den Variation 5 kollektiv auf Originalwerke des 20. Jahrhunderts richtet. Diese sind durchaus heiter und haben eben deshalb attraktive Hörqualitäten. Mehr Dimensionen fordern die Sinne! (Berlin Classics)