Neue Musik von Stefan Barcsay, Kaikhosru Sorabji, Witold Lutosławski und Henryk Mikołaj Górecki.
Auf einen zu Unrecht etwas vergessenen Entwicklungsstrang der Nachkriegsmoderne, den polnischen Sonorismus, macht das Goeyvaerts String Trio mit seiner Aufnahme von „Elementi“ für drei Streicher von Henryk Mikołaj Górecki aufmerksam. Das 1962 entstandene Eröffnungsstück von Góreckis explosivem Triptychon „Genesis“ ist in seiner klanglichen und artikulatorischen Radikalität kaum zu überbieten. Die Grenze zwischen Ton und Geräusch ist fließend, das Glissandogewühl erinnert an die kompromisslose Linearität von Xenakis. Die drei Instrumente sind zu einem einheitlich strukturierten, kratzend aufgerauhten Klangstrom verschmolzen, der sich wie kochendes Magma aus dem Lautsprecher ergießt. Das 1986 entstandene Trio „In Honour of Alfred Schnittke“ von Nikolai Korndorf setzt Góreckis Linie fort, deutlich geglätteter, aber mit überraschenden, der Minimal Music abgeschauten harmonischen Wirkungen. (Challenge Records)
Der 1913 geborene Witold Lutosławski ist heute ein Klassiker. Seine Anfänge liegen in den 1930er-Jahren, und nach der Nazibesetzung Polens gehörte Bartók zu seinen Orientierungspunkten. Zwei der drei Orchesterwerke, die das NDR Sinfonieorchester unter seinem Ersten Gastdirigenten, dem jungen Polen Krzysztof Urbanski, eingespielt hat, dokumentieren diese Frühphase: die folkloristische „Kleine Suite“ und das Konzert für Orchester, dessen Hauptmotiv im ersten Satz älteren ZDF-Zuschauern bekannt vorkommen dürfte – sie diente der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ als Titelmelodie. Einer vollkommen anderen Musiksprache begegnet man jedoch in der 1993 in Los Angeles uraufgeführten Vierten Sinfonie. Formale Dramaturgie, strukturelle Feinarbeit und die raffinierten Orchesterfarben machen sie zu einem zentralen Werk zeitgenössischer Sinfonik. (alpha classics)
Eine klassizistische Haltung mit impressionistischen Nachklängen herrscht dagegen noch in Lutosławskis Klavierstücken vor (von 1934 bis 1968 entstanden). In den von Corinna Simon schön herausgearbeiteten klanglichen Feinheiten kündigt sich aber bereits der intellektuelle Sensualist der späteren Orchesterwerke an. (AvI-music)
Einen pianistischen Kosmos besonderer Art stellen die 100 Transzendentalen Etüden dar, die Kaikhosru Sorabji zwischen 1940 und 1944 komponierte. Aus den über sieben Stunden Musik hat der phänomenale Fredrik Ullén ein Dutzend Stücke ausgewählt: Vollgriffige Akkordik in einer schwebenden Tonalität, komplizierte Überlagerungen, Kontrapunktik vom Feinsten in allen Varianten, alles sehr konstruktiv und pianistisch gedacht und von herausfordernder Virtuosität. Die mit unerbittlicher Logik abrollenden polyphonen Strukturen erscheinen manchmal wie eine Vorausnahme von Nancarrows Studien für Player Piano. Nur ist das hier alles noch Handarbeit auf den Tasten – ein unglaublicher Erfindungsgeist und eine ebensolche interpretatorische Leistung. (BIS Records)
Die neue Gitarrenplatte von Stefan Barcsay unter dem Titel „Nacht und Träume“ vereint sechs zeitgenössische Kompositionen – vier davon sind ihm gewidmet – mit zwei Werken des Klassikers Fernando Sor. Stille Klänge in dunkel leuchtenden Farben, geräuschreiche, von geheimnisvollem Geflüster begleitete Sequenzen, dumpfe Schläge auf das Holz und kleine zusätzliche Perkussionsinstrumente schaffen eine fantastische, leicht hoffmanneske Atmosphäre. Das hoch konzentrierte Musizieren, das den schönen Ton und die perkussive Attacke mit gleicher Sorgfalt gestaltet, wird durch die Aufnahmetechnik zum räumlichen Klangtheater ausgeweitet. (raccanto)